Google-Mitarbeiter Nr. 59
ihn Urs, dass er zu viele Nebenprojekte hätte, und forderte ihn auf, sich stärker zu beschränken. Diese Einstellung veränderte sich, nachdem er den Content-Targeting-Prototyp entwickelt hatte. Nicht nur für Paul, sondern für das ganze Unternehmen.
»Ich habe das Gefühl, dass das Konzept der ›20-Prozent-Zeit‹ daraus entstanden ist«, erzählte Paul mir. »Ich glaube nicht, dass es jemals konkret spezifiziert wurde, aber es wurde danach offizieller bestätigt.« Die «20-Prozent-Zeit› war eine Vollmacht, dass in der Technik alle einen Tag pro Woche über etwas anderes nachdenken konnten als über die ihnen zugeteilten Projekte. Anzeigen-Targeting in E-Mails war niemandem zugeteilt worden und die meisten, die davon hörten, waren vehement dagegen. Paul entwickelte es trotzdem und die Denkweise im Unternehmen veränderte sich über Nacht. Andere Techniker hatten auch Nebenprojekte, die vielversprechend aussahen, so wie der Google News Service von Krishna. Larry und Sergey wollten dieses Verhalten ermutigen.
Paul beobachtete, dass als Erstes die APM ambitioniert versuchten, die 20-Prozent-Zeit zu organisieren, sodass sie keine verlorene Ressource wäre. »Das war die komplette falsche Einstellung«, sagte er später. »Oh, diese Techniker arbeiten an beliebigen Sachen. Wir müssen sie koordinieren und es managen. Der wahre Wert liegt darin, dass die Menschen Dinge tun, die jeder für Zeitverschwendung hält. Genau da liegen die großen Chancen. Es ist eine Chance, weil die anderen sie nicht sehen.« Google selber war das beste Beispiel. Kein anderes Unternehmen hatte die Suche für wichtig gehalten. Wenn es anders gewesen wäre, hätten Microsoft oder Yahoo viel stärker in die Technologie investiert und Google hätte niemals so einen fulminanten Start erlebt.
Overture beobachtete unsere Versuche mit Content-Targeting. Sie wollten uns nicht den »First Mover«-Vorteil in einem neuen Markt überlassen, also taten sie im Februar 2003 so, als hätten sie uns wieder um Längen geschlagen – so wie bei suchbezogenen Anzeigen –, und behaupteten, sie würden bald einen »kontextabhängigen Anzeigendienst« starten. Eine Woche später war unser Service fix und fertig für den Einsatz. Ein aufgeweckter Kommentator auf WebmasterWorld notierte: »Overture verkündet es zuerst und Google führt es zuerst ein.« Versprich weniger und liefere mehr. Ich war zufrieden, dass die Menschen das wahrnahmen. Google führte den Wettbewerb an und Larry und Sergey planten, dort zu bleiben.
Die Anzeigenzuordnung von Overture ging nicht vor Ende Juni live. Ein Grund für die Verzögerung war vermutlich, dass Overture geplant hatte, die Technologie auf der Content-Targeting-Software von Applied Semantics aufzubauen, einem Unternehmen in Santa Monica. Im April kaufte Google Applied Semantics, verstärkte damit unsere Fähigkeiten und zog unserem Wettbewerber gleichzeitig die Beine weg, da diese nun nach einer anderen Technologie suchen oder sie so wie wir selber entwickeln mussten.
Dieses Unternehmen war unsere bis dahin größte Übernahme und wir begrüßten unsere Kollegen aus Südkalifornien beim TGIF mit Bier und Sushi, serviert auf einem Kunden-Surfbrett, das mit einem Logo »Google Santa Monica« bemalt war. Das Board war eine passende Metapher. Content-Targeted-Anzeigen waren die nächste große Welle bei den Online-Umsätzen, und wir hatten vor, die Welle bis zum Strand zu reiten.
Mein drittes Jahr bei Google eilte dem Ende zu. Alles veränderte sich, während sich das Unternehmen von einem Start-up zu einem globalen Kraftwerk wandelte. Neue Muster und Rituale schlichen sich ein, setzten sich fest und fühlten sich dauerhaft an.
Im Oktober 2001 bezog unsere Abteilung zusammen mit dem AdWords-Team den Saladoplex. Es war mein sechster (oder siebter?) Umzug, seit ich bei der Firma angefangen hatte. Nun hatte ich ein kleiderschrankgroßes eigenes Büro mit einem wandgroßen Whiteboard und einem Fenster mit Blick auf den Innenhof. Nur sechs Meter entfernt war eine Mikroküche. Und der Fitnessraum – ein umgebauter Großrechnerraum mit erhöhtem Boden und Klimaanlage – war direkt um die Ecke. Ich fühlte mich schön gebettet in meiner gemütlichen Ecke des Unternehmens und staunte, wie viel Googler mich umschwärmten. (Ameisen ebenfalls. Sie fanden ein Loch in der Isolation meines Fensters und einen Pfad in meinen Google-Kaugummispender.) Es gab so viele Googler, dass die Firma aufgehört hatte, den Neueingestellten
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