Google-Mitarbeiter Nr. 59
Aktienoptionen zu überreichen. Besser gesagt, stellten wir sie zurück. Die Regierung sagte, wenn wir 500 Anteilseigner hätten, müssten wir unsere Bilanzen zugänglich machen, wie bei einer Aktiengesellschaft. Stattdessen stellten wir zwar weiter ein, hielten die Aktienoptionen jedoch zurück. Die Börsenaufsichtsbehörde würde deshalb sicher ein paar Fragen an uns haben, wenn wir an die Börse gingen.
Ich arbeitete mit den PMs zusammen an den Budgets für deren Initiativen im Jahr 2003, eine Aufgabe, die ich nicht länger mit wilden Vermutungen und ein paar Stichpunkten zufriedenstellend erfüllen konnte. Wir hatten einen CFO, der jedem Detail mikroskopisch genaue Aufmerksamkeit schenkte, und sogar Eric konnte man fluchen hören: »Shit, wir sollten das besser ernst nehmen. Wir werden zu einem Milliarden-Dollar-Unternehmen.« Er scherzte, dass wir so etwas wie einen Prüfpfad, der ihn hinter Gitter bringen konnte, besser nicht vergeigten, eine zunehmend verbreitete Bestimmung von CEOs im Kielwasser von Enron. Er sagte es so oft, dass mir klar wurde, dass es gar kein Witz war.
Meine Welt war groß genug geworden, um sich durch Mitose aufzuspalten. Der Kundenservice wurde absorbiert von Sheryl Sandbergs AdWords-Welt und Marketing-Communications zog unter der Leitung von Christopher Escher in Jonathan Rosenbergs Produktmanagementbereiche ein. Eschers Bereich würde unsere Umsatzinitiativen unterstützen, was mich glücklicherweise davon befreite, mir mühsam Vertriebsmaterialien und Präsentationen zu erkämpfen. Meine neue Rolle drehte sich ausschließlich um die Produkte und Services, die unsere User unmittelbar berührten. Deshalb änderte Cindy meinen Titel in Director Consumer Marketing und Brandmanagement.
Mein Kreis auf Googles Venn-Diagramm der Verantwortungsbereiche überschnitt sich nun fast vollständig mit dem von Marissa Mayer. Sie führte neue Services an den Markt. Ich war für das Branding zuständig. Aber Branding entsprang den Produkten und den darin enthaltenen Texten. Wer traf also die endgültige Entscheidung darüber, was der Text aussagen sollte? Der Produktmanager oder der Brandmanager? Ah, da lag der Hase im Pfeffer.
Marissa ließ mich wissen, dass sie mich als den Produktmarketingmanager (PMM) für Google.com betrachtete. Mich tröstete die Vorstellung, dass ich eine strukturierte Rolle hatte, die innerhalb der neuen Weltordnung definiert war, jedoch entnervt angesichts der Erkenntnis, dass ich gemäß ihrer Logik Teil des Produktmanagements unter Jonathan sein und nicht in Cindys Corporate Marketing Group arbeiten sollte. Ich hatte nichts gegen Jonathan, aber für Cindy zu arbeiten war so wie das Studium an einem kleinen hochkarätigen College für freie Künste. Für Jonathan zu arbeiten wäre so, als würde man sich am MIT einschreiben.
Ich wollte nicht ans MIT.
Meine Zankereien mit Marissa über User-Interface-Themen waren mit der Einführung von Google News im September 2002 verebbt, was sowohl Höhe- als auch Tiefpunkte mit sich brachte. Marissa war besonders stolz auf die Google News, das automatisch Tausende von Nachrichtenquellen scannte und jene herauszog, die besonders wichtig schienen. Krishna Bharat hatte es als Nebenprojekt begonnen und nach dem 11. September ernsthaft daran gearbeitet. Marissa achtete darauf, dass die Google News, wie bei einem Lieblingskind, immer in der ersten Reihe standen, welche Süßigkeiten die Firma auch austeilte. Eines davon war, die Positionierung als Reiter direkt über der Suchbox auf der Google.com Homepage. Als das UI-Team fragte, warum wir eine derart wichtige Veränderung nicht diskutiert hatten, behauptete Marissa, es wäre immer so geplant gewesen.
Es war schwer, die Verschiebung der Entscheidungsautorität zu übersehen, weg vom UI-Team, wo alle Mitglieder angeblich gleiches Stimmrecht hatten, zum Produktteam, über das Marissa nun herrschte.
Ich erfuhr es am eigenen Leib, als ich mit Marissa an der Sprache arbeitete, die unsere Site nutzen würde, um die Google News zu beschreiben. Wie es so oft der Fall war, wurde in der Nacht vor der Produkteinführung noch an dem Wortlaut gefeilt. Marissa wollte die automatisierte Natur der Google News thematisieren, indem sie sagte: »Für die Entstehung dieser Seite wurden keine Menschen verletzt oder nur gebraucht.« Für mich klang das sonderbar und, schlimmer noch, wie ein Schlag ins Gesicht der Journalisten und Herausgeber, deren Geschichten wir aggregierten. Ich hörte darin
Weitere Kostenlose Bücher