Gott sacker Kriminalroman
werden?
Ich wollte gerade aufstehen und das Glöckchen ausgangs der
Sakristei zum Klingen bringen, um die weltlichen Hauptakteure des
Gottesdienstes anzukündigen. Doch Kalner, der Unberechenbare, stand schon im
Durchgang und bimmelte angemessen.
Als die zwei Ministrantinnen, angeführt von Deodonatus, den
Sakralraum betraten, ging ein Raunen durch die Kirche. Des Pfarrers linkes Auge
war zu einem Schlitz angeschwollen und von kräftig purpurner Farbe, was seinem
schwarzen Gesicht einen kriegerischen Ausdruck verlieh.
Cäci saß als unfreiwillige Aktivistin in der ersten Reihe der
Frauenseite und signalisierte mir mit beiden Zeigefingern ein Rechteck in der
Luft. Ihrem Lippenspiel entnahm ich die verzweifelten Buchstaben
›Fürbittenzettel‹.
Ich konnte nur unauffällig mit den Schultern zucken.
Dann schaute Deodonatus, der sich hinter dem Altar
positioniert hatte, einäugig hoch zur Orgel. Und noch einmal blickte er hinauf.
Aus meiner Position hatte ich schon längst bemerkt, dass Philipp nicht an
seinem Platz an der Orgel saß. Deodonatus schaute zu mir, dann zu Kalner, der
immer noch im Durchgang zur Sakristei versteckt stand. Ich zuckte wiederum mit
den Schultern. Kalner deutete seinem Pfarrer mit Zeichensprache an, dass er die
Sache in die Hand nehmen werde. Er schritt würdig aus dem Dunkel des Gewölbes
heraus und begab sich zum Mittelgang, machte einen Knicks in Richtung Altar
hin, bekreuzigte sich andächtig und schritt pietätvoll zum Hauptportal hinaus.
»So, wia üben noch die neue Kanon ›Du verwandelst meine
Trauaa in Freude‹.«
Die Gemeinde war heute besonders geduldig und Deodonatus
übte, bis der Kanon vierstimmig perfekt ertönte. Gerade als die Schlusszeile im
schönsten Akkord verklungen war, ging das Portal auf und Kalner erschien mit
dem lädierten Philipp an der Hand. Philipp wirkte trotz wochenlanger intensiver
Sonneneinstrahlung bleich. Das indische Stickhemd steckte nachlässig in der
kurzen grünen Batikhose, die ansonsten schulterlangen Haare standen in alle
Richtungen ab. Die hagere Gestalt schwankte leicht und hatte die Augen weit
aufgerissen, um sich an die geänderten Lichtverhältnisse im Gottesraum zu
gewöhnen. Offensichtlich wusste er nicht genau, wo er sich gerade befand. In
der Rechten hielt er Müllers Framus-Gitarre. Unsicheren Schrittes bewegte er
sich zur Orgel hoch.
Ein Raunen und Getuschel ging durch die Kirche.
Jäh eröffnete Philipp, vom Konzept abweichend, mit der
geistlichen Kantate von Johann Sebastian Bach ›Wo soll ich fliehen hin‹.
Ansonsten lief der Gottesdienst doch noch in einigermaßen
geordneten Bahnen ab. Bis auf die Fürbitten.
»Unsara liebe Gemeindamitglied Cäcilia Maier spricht nun da
Fürbitta.«
Cäci schaute mich verzweifelt an, als sie mit ihrem knappen
Rock und ihrem aufreizenden gelben Top zum Ambo schritt. Vor die
Ketchup-Flecken hielt sie ein rot eingebundenes Gotteslob. Den Minirock hatte
sie schon weitestmöglich nach unten gezerrt, trotzdem war nervöses Gehüstele
auf der Männerseite hörbar. Auf der Frauenseite wurde vermehrt im Gotteslob
geblättert.
»Heute haben wir im Hinblick auf die Situation der Gemeinde
eine neue Form der Fürbitte gefunden. Herr Bönle und ich werden im Wechsel Fürbitten
auf Stichwort-Zuruf aus der Gemeinde frei formulieren. Das Stichwort muss in
der Fürbitte eingebettet sein. Herr Pfarrer Ngumbu wird mir das erste Stichwort
als Beispiel geben.«
Ngumbu machte ein erstauntes großes Auge. Ich bewegte mich
nach einem strengen und auffordernden Blick Cäcis wie in Zeitlupe zum Ambo hin.
Cäcilia blickte dreist in die Gemeinde.
Deodonatus schaute immer noch unsicher zu Cäci, sie nickte
ihm auffordernd und freundlich lächelnd zu: »Bitte, Herr Pfarrer.«
Deodonatus faltete die großen Hände, senkte den einäugigen
Blick, straffte seine breiten Schultern und erhob dann wieder demütig sein
lockiges Haupt.
»Leba schätza«, formulierte Deodonatus, der sich von Cäcilia
überrumpelt fühlte, in den überfüllten Kirchenraum hinein.
Nur den Bruchteil einer Sekunde stutzte Cäci, die Deodonatus
nicht richtig verstanden hatte: »Oh Herr, gib uns unser tägliches Brot, denk an
die, die nichts zu essen haben. Sie können nicht aus der Fülle unserer
Speiseangebote schöpfen. Hunger und Elend prägen deren Alltag. Wir dagegen tun
uns regional gütlich an Leberspätzle und anderen Spezialitäten. Herr, gib uns
die Kraft, andere mitzuspeisen, sie
Weitere Kostenlose Bücher