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Gottes Werk und Teufels Beitrag

Gottes Werk und Teufels Beitrag

Titel: Gottes Werk und Teufels Beitrag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Irving
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reichen Fotze?«
    Ted und Patty Callahan waren erpicht darauf, Mary Agnes nach Hause zu bringen, doch Melony hielt sie zurück, als sie gingen. Sie griff in ihre enge Hosentasche und zog die horngefaßte Haarspange hervor, die Mary Agnes Candy gestohlen und die Melony ihr ihrerseits weggenommen hatte. Melony schenkte Mary Agnes die Haarspange.
    »Behalt sie«, sagte Melony. »Du hast sie genommen, sie gehört dir.«
    Mary Agnes umklammerte die Haarspange, als sei es eine Tapferkeitsmedaille für furchtloses Verhalten in der einzigen Arena, die für Melony zählte.
    »Ich hoffe, ich seh dich wieder!« rief Mary Agnes Melony nach, die davonpirschte – der flüchtige Homer Wells konnte ja gleich hinter der nächsten Ecke sein.
    »Welche Farbe hatte der Lieferwagen?« rief Melony.
    »Grün«, sagte Mary Agnes. »Ich hoffe, ich seh dich wieder!« wiederholte sie.
    »Habt ihr schon mal von einem Ocean View gehört?« schrie Melony den Callahans nach; hatten sie nicht. Was sollte ein Antiquitätenhändler auch mit Äpfeln anfangen?
    »Darf ich dich irgendwann wiedersehen?« fragte Mary Agnes Melony.
    »Ich bin in den Schiffswerften«, sagte Melony zu dem Mädchen. »Falls du mal etwas von Ocean View hörst, darfst du mich wiedersehen.«
    »Du weißt doch nicht, ob er es war«, sagte Lorna später zu Melony. Sie tranken Bier. Melony sagte nichts. »Und du weißt nicht, ob die reiche Fotze immer noch bei ihm ist.«
    Sie standen am Ufer des nebligen Kennebec, in der Nähe der Fremdenpension, wo Lorna wohnte; wenn sie eine Flasche leergetrunken hatten, warfen sie sie in den Fluß. Melony war gut im Sachen-ins-Wasser-Werfen. Sie reckte ihr Gesicht in die Höhe und schnupperte weiter in den Wind – als könnte ihrer Spürnase nicht einmal Candys Schamhaarbüschel entgehen.
    Auch Homer Wells beförderte etwas ins Wasser. Ploink! machten die Schnecken, die er von Ray Kendalls Anlegesteg warf; das Meer gab nur einen klitzekleinen Ton von sich, wenn es die Schnecken verschluckte. Ploink! Ploink!
    Candy und Homer saßen einander gegenüber mit dem Rücken an die Pfosten vorn am Steg gelehnt. Hätten sie beide ihre Beine zueinander ausgestreckt, dann hätten ihre Fußsohlen sich berührt, doch Candy saß mit leicht angewinkelten Knien – in einer Haltung, die Homer Wells vertraut war von den vielen Frauen, die er auf Beinstützen gesehen hatte.
    »Ist es in Ordnung?« fragte Candy leise.
    »Was?« fragte er.
    »Dein Herz«, flüsterte sie.
    Wie sollte er das wissen? »Ich schätze, ja«, sagte er.
    »Es wird in Ordnung sein«, sagte sie.
    »Was wird in Ordnung sein?« fragte Homer Wells.
    »Alles«, sagte Candy schnell.
    »Alles«, wiederholte Homer Wells. »Daß ich dich liebe – ist in Ordnung. Und daß du mich und Wally liebst – ist ebenfalls in Ordnung? Richtig«, sagte er.
    »Kommt Zeit, kommt Rat«, sagte Candy. »Bei allem muß man abwarten.«
    »Richtig.«
    »Ich weiß auch nicht, was ich tun soll«, sagte Candy hilflos.
    »Wir müssen das Richtige tun«, sagte Homer Wells. Wally würde das Richtige tun wollen, und Dr. Larch tat ebenfalls immer, was er für das Richtige hielt. Wenn man die Geduld aufbrachte, um abzuwarten, mußte das Richtige sich doch zeigen – nicht wahr? Was könnte eine Waise auch anderes tun als abwarten?
    »Ich kann geduldig sein«, sagte Homer Wells.
    Auch Melony konnte geduldig sein. Und Ray Kendall, in seinem Fenster über dem Anlegeplatz. Auch ein Mechaniker ist geduldig; ein Mechaniker muß abwarten, bis etwas bricht, bevor er es reparieren kann. Ray sah den Abstand zwischen den Füßen seiner Tochter und Homers Füßen; er war nicht groß, und Ray hatte seine Tochter viele Male auf diesem Steg in Wallys Armen gesehen, und vorher, als Candy und Wally auch schon da saßen, ohne daß ihre Füße sich berührten.
    Es sind drei gute Kinder, dachte Ray. Aber er war Mechaniker; er hatte Besseres zu tun, als sich einzumischen. Wenn es kaputtging, würde er es reparieren; sie taten ihm alle leid.
    »Ich kann dich morgen in die Schule zurückfahren«, sagte Homer.
    »Mein Daddy kann mich fahren«, sagte Candy. »Ich glaube, er tut es gern.«
    Olive Worthington sah auf die Uhr auf ihrem Nachttisch und knipste ihre Leselampe aus; mit Debra Pettigrew bleibt Homer nie so lange weg, dachte sie. Olive fiel es nicht schwer, sich vorzustellen, wie faszinierend Homer Wells für Candy war. Olive hatte den größten Respekt vor Homers Geschicklichkeit. Sie hatte gesehen, daß er ein viel besserer Schüler als

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