Gottspieler
über den Tod eines Freundes sei. Vielleicht könnten die Schwestern ein Auge auf sie haben.
Lange Zeit lag Cassi bewegungslos in ihrem Bett. Als Joangegangen war, hatte sie keine Einwände erhoben, aber jetzt fühlte sie sich sehr einsam. Roberts Tod hatte die alte Angst, alleingelassen zu werden, wieder in ihr auferstehen lassen. Sie erinnerte sich an einen Alptraum aus ihrer Kindheit, in dem ihre Mutter sie in die Klinik zurückbrachte und gegen ein gesundes Kind eintauschte.
Von Panik ergriffen, drückte Cassi auf den Knopf für die Stationsschwester. Hoffentlich kam bald jemand und half ihr.
»Was ist denn, Frau Doktor?« fragte die Schwester, die ein paar Minuten später den Raum betrat.
»Ich habe Angst«, sagte Cassi. »Ich ertrage diese Pflaster auf den Augen nicht. Ich möchte, daß sie mir abgenommen werden.«
»Als Ärztin wissen Sie doch, daß wir das nicht dürfen. Es ist gegen die Anweisung. Ich werde Ihnen sagen, was ich tue. Ich gehe und rufe Ihren Arzt. Was halten Sie davon?«
»Es ist mir egal, was Sie tun«, sagte Cassi. »Ich will keine Pflaster auf den Augen.«
Die Schwester verschwand, und Cassi versank neuerlich in ihrer Angst. Die Zeit schleppte sich dahin. Vom Korridor drangen beruhigende Geräusche herein.
Endlich kehrte die Schwester zurück. »Ich habe mit Dr. Obermeyer gesprochen«, sagte sie munter. »Er hat mir aufgetragen, Ihnen auszurichten, daß er bald nach Ihnen sehen wird. Außerdem soll ich Ihnen sagen, daß Ihre Operation hervorragend gelaufen ist, daß Sie sich aber unbedingt Ruhe gönnen müssen. Er wollte, daß ich Ihnen noch ein Sedativum gebe. Drehen Sie sich bitte auf die Seite, danach wird es Ihnen gleich besser gehen.«
»Ich will kein Sedativum mehr. Ich will, daß die Pflaster abgenommen werden!«
»Kommen Sie schon«, drängte die Schwester und schlug Cassis Decke zurück.
Einen Moment lang schwankte Cassi zwischen Abwehr undKlagen, dann drehte sie sich widerstrebend um und erhielt die Spritze.
»So«, meinte die Schwester. »Jetzt dauert es nicht mehr lange, bis Sie sich wieder besser fühlen.«
»Was war das?« fragte Cassi.
»Das müssen Sie Ihren Arzt fragen. In der Zwischenzeit sollten Sie sich freuen, daß Sie bald wieder wohlauf sein werden. Möchten Sie, daß ich Ihnen den Fernseher einschalte?« Ohne auf eine Antwort zu warten, schaltete sie den Apparat an und verließ den Raum.
Die Stimme des Nachrichtensprechers wirkte beruhigend. Bald darauf begann auch das Sedativum zu wirken, und Cassi schlief ein. Als Dr. Obermeyer erschien und ihr noch einmal persönlich versicherte, wie zufrieden sie mit dem Operationsverlauf sein könnten, erwachte sie vorübergehend. Er sagte, sie würde in ein paar Tagen auf dem linken Auge wahrscheinlich wieder genauso gut sehen wie auf dem rechten, die nächsten Tage seien allerdings kritisch, so daß sie Geduld beweisen müsse. Darüber hinaus erklärte er, daß sie jederzeit nach ihm oder einer der Schwestern rufen könne, wenn sie wieder Angst bekäme.
Sie schlief erneut ein und erwachte erst ein paar Stunden später, weil sie flüsternde Stimmen in ihrem Zimmer hörte. Sie lauschte und erkannte eine davon. »Thomas?« fragte sie.
»Ich bin hier, Liebling.« Er griff nach ihrer Hand.
»Ich habe Angst«, sagte sie und spürte, wie sie zu weinen begann. Die Tränen drangen unter den Pflastern hervor und rannen ihr die Wangen hinunter.
»Cassi, was hast du denn?«
»Ich weiß nicht.« Dann fiel ihr wieder ein, daß es wegen Roberts Tod war. Sie wollte Thomas davon erzählen, mußte aber so heftig weinen, daß sie kein Wort über die Lippen brachte.
»Du mußt dich zusammennehmen, Cassi. Es ist wichtig für dein Auge.«
»Ich fühle mich so allein.«
»Unsinn, ich bin doch bei dir. Du hast einen ganzen Hofstaat von aufmerksamen Schwestern und liegst in einem der besten Krankenhäuser der Welt. Versuch doch wenigstens, dich zu entspannen.«
»Ich kann nicht.«
»Ich glaube, du brauchst noch ein Sedativum«, sagte Thomas.
»Ich will keine Spritze mehr«, wandte sie ein.
»Ich bin der Doktor, und du bist der Patient«, sagte Thomas bestimmend, und hinterher war sie froh, daß er darauf beharrt hatte. Noch während er zu ihr sprach, versank sie in gnädigen Schlaf.
Thomas drückte den Knopf für die Stationsschwester. Als sie das Zimmer betrat, erhob er sich von der Bettkante. »Geben Sie ihr heute abend bitte zwei Schlaftabletten. Gestern nacht ist sie auf dem Gang herumgelaufen, das soll nicht wieder
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