Grabmoosalm (German Edition)
schon mal
gsehn.«)
»Ja«, sagte die Resi.
Sie sah entzückend aus in ihrem blau-gelb geblümten Kleid und dem
forstgrünen Schal, der ihr über die Schulter fiel. Richtig bayerisch zusammen
mit den dunkelgrünen Haferlschuhen. Schuhe hatte sie genug im Schrank.
»Ganz bestimmt, Pfeiferl. Da hast du bestimmt recht.« Und nach einer
kleinen Denkpause: »Den werden mir bestimmt noch öfters sehen.«
»Großmutter, wie geht’s dir?«
Das übliche Grußwort beim Besuch einer Kranken. Es ließ sich halt
nicht vermeiden.
Oder hätte sie fragen sollen: »Wie geht’s deinem Hirn?« oder »Lebst
du noch oder schwebst du schon?« oder so ähnlich? Die Moserin würde den
Unterschied eh nicht merken.
Stattdessen fragte ihre Enkelin: »Weißt du noch, dass du die Annemirl
erschossen hast?«
Der Pfeiferl pfiff bei der Frage, was das Zeug hielt. Er hatte sich
umgedreht, schaute zur Wand und verdrehte die Augen.
Und die Moserin? Sie verhielt sich Alzheimer-konform. Sie wurde
aggressiv.
»Was ist mit der Annemirl?«, schrie sie. Sie hatte sich vom Bett
erhoben und ballte die Fäuste.
»Hat sie wieder ins Bett gebieselt? Mir haben bald nimmer genug
Wäsche wegen dem Kind. Wenn meine Tochter noch leben tät … Aber die ist ja
abgehauen.«
Etwas beruhigt sah sie den Pfeiferl an.
»Wissen Sie vielleicht, wo meine Tochter sich grad aufhält?«
Die Resi stand dabei und blickte sie starr an. Es war hoffnungslos.
Es wurde immer schlimmer mit der Moserin. Das warf all ihre Überlegungen über
den Haufen.
Die Resi erinnerte sich, wie sie zum ersten Mal bemerkt
hatte, dass im Hirnkastl ihrer Großmutter etwas nicht stimmen konnte. Das war
kurz nach jenem Montag gewesen, als die Moserin die Grabmoosalm an Resis Mutter
übergeben hatte. Ein unfreundlicher Dezembertag war es gewesen. Eine Mischung
aus Schnee, Wasser und dem Staub von der Papierfabrik war vom Himmel gefallen.
Die Resi hatte die Moserin auf deren Wunsch mitgenommen in die Stadt nach
Rosenheim. Nach dem Parkhaus hatten sie sich getrennt.
»Jetzt ist’s halb zwei«, sagte die Resi. »Wie wär’s, wenn wir uns um
drei Uhr wieder treffen? Dann bist du bestimmt fertig mit deinen Erledigungen.«
Die Moserin nickte zustimmend und wechselte die braune
Lederhandtasche von der einen Hand in die andere.
»Nein, halt«, sagte die Resi. »Lass mich noch ein Stünderl drauflegen.
Ich hab noch mehr zu erledigen als wie du. Sagen wir also um viere, okay? Hast
du verstanden, Großmutter? Um viere treffen wir uns hier wieder. Vor dem
Parkhaus.«
Abgemacht. Die Resi ging nach links, die Moserin nach rechts. Vier
Minuten vor vier stand die Resi mit prall gefülltem Weidenkorb und zwei
Plastiktüten vor dem Parkhaus. Menschen hasteten vorbei, Autos hupten, Hunde
bellten – die Moserin kreuzte nicht auf.
Um halb fünf wurde es der Resi zu bunt. Sie packte ihren Einkauf ins
Auto und machte sich auf die Suche. Eine gewisse Vorahnung sagte ihr, dass
etwas faul war, denn die Moserin war bisher immer die Zuverlässigkeit in Person
gewesen. Beunruhigt war sie trotzdem nicht. Ihre Mutter war ja droben und
passte auf die Alm, den Seppe und die Sissi auf.
Sie ging zur Polizei. Dort hatte in der Zwischenzeit die Managerin
eines Supermarkts in der Prinzregentenstraße angerufen. Eine Frau so um die
achtzig hatte offensichtlich nicht mehr aus dem Markt hinausgefunden. Sie hatte
sich einer jungen Frau mit einem Einkaufswagen und einem quengelnden Kind an
die Fersen geheftet. Diese Frau bemerkte bald, dass ihr jemand folgte.
»Eine alte, verwirrt aussehende Frau, die einen Einkaufswagen vor
sich herschob«, hatte die Kundin zu Protokoll gegeben. »Und jedes Mal, wenn ich
mich nach ihr umgeschaut hab, hat sie wahllos etwas aus dem Regal geholt und in
ihren Wagen gelegt.«
Die Kassiererin hatte später gegenüber dem Polizisten, der sie
anhörte, ausgesagt: »Die Frau hatte gefrorenen Fisch, Zahnpasta, Salat und so
was auf das Band gelegt. Das war ja alles normal. Als sie dann aber mit einem
übergroßen Bettbezug mit Picassomotiv, einem Packerl Rasierklingen,
Herrensocken der Größe sechsundvierzig bis fünfzig und einem Playboy-Heft
ankam, wurde ich stutzig.«
Die Polizei kam zu spät. Die Frau blieb über Stunden verschwunden.
Erst spät am Abend wurde sie von einer Zivilstreife aufgegriffen und der Resi
übergeben.
Eine Woche später hatte die Moserin wie immer in der Wirtschaft beim
Bedienen geholfen. Statt den Gästen an Tisch sieben das bestellte Weißbier und
die
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