Grabt Opa aus - Ein rabenschwarzer Alpenkrimi
Lächeln seiner Mundwinkel war in den Augen so gar nicht wiederzufinden. Die blickten kalt, leblos, als ob dahinter niemand wohnte.
„Bis morgen also?“, fragte Alfie. Das würde eine grübelintensive Nacht werden.
„Bis morgen?“ Esterhuysen lachte bellend. „Das verstehen Sie unter Dringlichkeit? Nein, mein Junge.“ Er hob den Arm und sah auf sein sündhaft teures Chronometer. Es war eine Patek Philippe Sky Moon in der Platinversion, Wert 700.000 Euro – aber das wusste Alfie nicht. „In zehn ... neun ... acht ...“
Alfie glaubte, seinen Ohren nicht zu trauen. „Wie? Jetzt sofort?“
„... sieben ... sechs ... fünf ...“
„Aber ...“
„... vier ... drei ... zwei ... eins. Nun?“
Alfie starrte Esterhuysen mit offenem Mund an. „Das können Sie doch nicht ernst meinen? Ich muss erst ...“
„Unsinn!“, unterbrach Esterhuysen. „Große Geister müssen gar nichts! Was wollen Sie tun? Sich mit jemandem beraten? Ein anderer soll die Entscheidung über Ihr Lebensglück mitfällen? Wenn es in die Hose geht, teilt dieser andere dann auch Ihr Unglück mit Ihnen? Wohl kaum. Hören Sie, das ist Ihre Chance auf Freiheit, auf die Erfüllung all Ihrer Wünsche! Was gibt es da noch zu überlegen?“
Esterhuysen sprach mit nachgerade hypnotischer Stimme. Der Müllmann, der gerade den Mülleimer an der Ecke entleeren wollte, blieb stehen, lauschte und nickte. Er hätte sofort eingeschlagen und Esterhuysen sogar seine Seele verkauft. Und dabei wusste er noch nicht einmal, um was für eine phantastisch hohe Summe es ging.
„Wenn eine unwiederbringliche Gelegenheit an die Tür klopft, dann wägt man nicht erst lange das Für und Wider ab. Man sagt ‚ja‘ zu seinem Schicksal und nimmt es freudig an. Gänswein, Sie sind zu Größerem berufen. Kneifen Sie jetzt nicht! Sie sind Ihrer Vergangenheit nicht hilflos ausgeliefert, wie Sie ja auch nicht einem Album mit alten Fotos ausgeliefert sind. Schießen Sie neue Fotos! Jede Menge davon! Ändern Sie Ihr Leben!“
„Aber ...“, wollte Alfie einwenden.
„Was sind Sie? Der Geist, der stets verneint? Sie glauben, Sie können nicht aus Ihrer Haut? Falsch! Nichts ist Fakt und Gesetz für echte Kerle. Echte Kerle schaffen ihre eigenen Fakten, schreiben ihre eigenen Gesetze!“
„Ja!“, rief der Müllmann aus voller Kehle. „Ja, ja, und nochmals ja!“
Ein paar Passanten schauten neugierig zu ihnen herüber. Der Müllmann zog mit energischen Schritten weiter. Gott allein wusste, was er mit seiner neu gewonnenen Tschakka!-Einstellung tun würde und ob die Mülleimer in Seefeld auch morgen noch geleert würden.
„Sind Sie im richtigen Leben Motivationstrainer?“, fragte Alfie.
Esterhuysen wischte das bescheiden beiseite. „Ich sage nur, wie es ist. Nun? Wie lautet Ihre Entscheidung?“ Er zog den zerknitterten Zettel aus seiner Manteltasche.
Alfie starrte ihn an. Esterhuysen, nicht den Zettel. Freiheit, gut und schön. Aber was sollte er mit seiner Freiheit anfangen? Ganz ehrlich, er konnte sich seine Person nicht an den Spieltischen von Monte Carlo oder auf einer Yacht in der Karibik oder in der Penthouse-Suite eines Luxushotels in Dubai vorstellen. Da würde er sich fehl am Platz fühlen. Wohingegen Bodenplatten zu verlegen, damit man vom Gatter zum Waldschlössleingang kam, ohne bei Regen im Schlamm zu versinken, oder kochen zu lernen – vorzugsweise Suppen oder Brei, damit seine Alten mit ihren dritten Zähnen es auch essen konnten –, das lag durchaus im Rahmen von Alfies Vorstellungskraft. Das würde ihm vermutlich sogar Freude machen. Endlich richtig gebraucht werden, etwas bewirken können.
„Nein“, sagte Alfie daher bestimmt.
„Wie bitte?“ Wäre Esterhuysen nicht erst in der Vorwoche zur Botox-Unterspritzung bei einem berühmten Schönheitschirurgen in Los Angeles gewesen, hätte er jetzt die Stirn gerunzelt.
„Es tut mir leid, aber ich verkaufe nicht. Danke für das Angebot.“ Alfie zögerte kurz, wusste nicht, ob man sich in einem solchen Fall männlich die Hand schüttelte – nichts für ungut! – oder ob er einfach wortlos seines Weges gehen sollte. Er entschied sich für ein halbherziges Winken und machte sich auf den Weg ... nach Hause.
Ja, dachte Alfie, ich habe jetzt ein neues, richtiges Zuhause.
Wo ein Haufen Auftragskiller auf ihn wartete, die ihm eigentlich verboten hatten, allein auf Tour zu gehen, solange sie ihm nicht vertrauten, und die ihn vielleicht, vielleicht aber auch nicht, irgendwann im Schlaf ermorden
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