Graf Petöfy
werdende Hitze des Tages lag. Ein Fähnlein, das die Schützenplatzstelle bezeichnete, hing schlaff am Mast herab und regte sich immer nur, wenn ein Luftzug ging. Plötzlich aber klang ein Paukenschlag vereinzelt und wie zufällig herüber, und die Gräfin, ihrem Sinnen dadurch entrissen, nahm die Feder wieder auf und schrieb:
»Lieber Freund!
In meinem Leben hier hat sich seit voriger Woche manches geändert, und seit gestern ist es ein Saus und Braus. In aller Frühe kam Egon Asperg und mit ihm der junge Pejevics, der, wie Sie vielleicht wissen, einige Wochen der Rennen halber in England war. Ich freute mich aufrichtig und beschloß, den Tag in aller Heiterkeit mit ihnen zu verbringen, würd aber damit gescheitert sein, wenn ich nicht die beiden jungen Damen, deren ich neulich schon Ihnen gegenüber Erwähnung tat, als Hülfstruppe hätte heranziehen können. Ein paar junge Schauspielerinnen interessieren eben lebhafter als eine Tante von beinahe siebzig. Und heute mehr denn je. Denn
die
Dinge, die für uns das Leben ausmachen, erscheinen mir in den Herzen der gegenwärtigen Generation um noch vieles erstorbener als in dem der vorigen. Mein Bruder hat wenigstens noch Spott für diese Dinge, Graf Egon aber nur Schweigen und Gleichgültigkeit. Indessen ich will nicht anklagen, sondern berichten.
Ein Ausflug in die Berge ward also verabredet. Egon und ich zu Wagen, alles andere zu Fuß, so brachen wir in zwei Partien auf, um oben auf der Kuppe von Heiligenkreuz wieder zusammenzutreffen. Die beiden jungen Damen waren allerliebst, was Sie, der Sie der jüngeren von Anfang an Ihre Sympathien entgegenbrachten, nicht überraschen wird. Ich meinerseits möchte fast der älteren, dem Fräulein Phemi, wie sie kurzweg genannt wird, den Vorzug geben. In Fräulein Franz steckt allerdings ein bedeutenderer Fonds, aber eben weil sie bedeutender ist, ist sie zugleich auch minder bequem und stellt uns, als übe sie Kritik, unter eine beständige Kontrolle. Wie ganz anders dagegen das ältere Fräulein! Von einer gewinnenden Offenheit und Schelmerei, vergißt sie, die Worte zu wägen, oder will es vielleicht auch nicht und überhebt uns dadurch der Notwendigkeit, auf uns selber in jedem Augenblick ängstlich achten zu müssen. Auf uns achten ist freilich Pflicht, aber ängstlich auf uns achten wird leicht zur Pein.
Gegen neun Uhr waren wir von unserer Partie zurück, Egon und Graf Pejevics verließen mich gegen zehn, und ich hoffte, die nächsten vierundzwanzig Stunden in einer vollkommenen Ruhe, nach der ich mich sehnte, zubringen zu können, da wirbelte heute mit dem frühesten mein Bruder, Graf Adam, in mein Zimmer und meine Stille hinein. Auf wie lange, steht dahin. Er sprach anfangs von einem halben Tag nur, aber seine Pläne haben sich rasch geändert. Sehr begreiflich. Er ist eben drüben bei den jungen Damen, was Ihnen genug sagt, und gönnt mir durch diesen seinen Besuch die Muße zu diesen Zeilen an Sie.
Ja, daß ich es Ihnen gestehe, mein lieber Freund, ich bin in Sorgen, in denselben Sorgen, die mich diesen Winter erfüllten und deren äußere Veranlassung Sie so gut kennen wie die tiefere Charakterbegründung. Und dies letztere wiegt am schwersten. Er hat es versäumt, sich zu rechter Zeit seiner Jahre bewußt zu werden, ist der ewig Jugendliche geblieben, unstet und rastlos, und hat zum Überfluß auch noch eine Neigung ausgebildet, gegen all das anzustreben und unter Umständen auch anzustürmen, was er ›Vorurteile des Standes und der Gesellschaft‹ nennt. In ewiger Fehde hab ich diese seine Rastlosigkeit bekämpft, und doch fühl ich jetzt, daß gerade sie das Korrektiv und der Schutz seines Lebens war, so sehr, daß ich seit kurzem oder doch seit heute vor dem Moment bange, der dieser seiner Rastlosigkeit ein Ende machen und ihn umgekehrt mit einer plötzlichen Sehnsucht nach einem Ruhehafen erfüllen könnte. Denn er wird auch dabei wieder, um das mindeste zu sagen, unherkömmlich verfahren und seinem Tun den Stempel des Aparten und Adoleszenten aufdrücken. Es entspricht das seiner Eitelkeit, von der ich ihn trotz all seiner Vorzüge nicht freisprechen kann. Und alle diese Dinge, fürcht ich, sind nahe, sehr nahe. Der Umstand, daß er in dem Momente seiner Rückkehr nach hier eben das vorfand, was er, als er nach Paris ging, zu fliehen gedachte, wird nicht ohne Wirkung auf sein Gemüt und seine Handlungsweise bleiben. Denn er ist abergläubisch und glaubt an Zeichen. Er ist jetzt sicher, daß ihm ein
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