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Graf Petöfy

Graf Petöfy

Titel: Graf Petöfy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Theodor Fontane
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beständig, auch hier wieder, auch wieder in diesem Punkte; denn alles, was dir bloß egoistische Laune dünkt, ist ein Kalkül, der auch das Recht des andern scharf mit in Berechnung zieht. Opfer! Es soll umgekehrt ein Verhältnis werden, das sich auf vollkommener Freiheit aufbaut, ein Ehepakt, der statt der Verklausulierungsparagraphen ein einziges weißes Blatt hat. Carte blanche. Ja, Judith, laß mich das Wort wiederholen. Wir sind unter uns und dürfen uns vielleicht um unserer Stellung und unserer Jahre willen gestehen, daß wir über Alltagsbegriffe, die schließlich doch immer nur Lüge verdecken, einigermaßen hinaus sind.«
    Judith lächelte.
    Der alte Graf aber übersah es oder nahm es auch wohl als Zustimmung und fuhr deshalb, immer lebhafter werdend, fort: »Ich habe mich zu Feierlichkeitsbetrachtungen angesichts dieser Dinge nie heraufschrauben können. Es hänge die Welt daran, versichern einige mit Emphase, was mir immer nur ein Beweis sein würde, daß die Welt an etwas sehr Inferiorem hängt. Rundheraus, all das sind Erwägungen und Betrachtungen aus der Sphäre von Gevatter Schneider und Handschuhmacher. In der Obersphäre der Gesellschaft bestimmt die Politik und unter Umständen auch die bloße Lebenspolitik die Heiraten und Bündnisse, Bündnisse, bei deren Abschluß es noch jederzeit fernegelegen hat, dem Herzen seine Wege vorschreiben zu wollen.«
    »Aber doch der Pflicht.«
    »Nun wohl, der Pflicht. Aber was ist Pflicht? Was wir so kurzweg als Pflicht bezeichnen, zerfällt wieder in Einzelpflichten, in betreff deren es Sache des Übereinkommens bleibt, welche gelten sollen und welche nicht. Ich habe nicht vor, auf
alle
zu verzichten, aber doch auf viele. Weiß ich doch, daß sie jung ist. Und sie
soll
jung sein und Freude haben und jede Stunde genießen. Oder glaubst du, daß ich jemals Lust bezeigen könnte, zu den Traditionen der eingemauerten Nonne zurückzukehren? Umgekehrt, es würde mich glücklich machen, sie von unseren besten Kavalieren umworben und unser altes Schloß Arpa zum Minnehof à la Wartburg erhoben zu sehen. Ja, Judith, meine Phantasie schwelgt in solchen Bildern und Vorstellungen. Ich höre schon den Marsch aus dem ›Tannhäuser‹ und sehe Perczel oder gar den alten Szabô sich als Wolfram von Eschenbach vor ihr verbeugen. Ein heiteres Leben will ich um mich haben, ein Leben voll Kunst, voll Huldigung und Liebesfreude. Was daneben zu wahren bleibt, das heißt Dekorum. Nichts weiter. Anstoß geben oder geben sehen ist mir gleich unerträglich; mais c'est tout. Diskretion also, Dekorum, Dehors.«
    »Und mit diesen Vollmachten ausgerüstet, soll ich die Frage tun und die Verhandlungen führen?«
    »Ja. Willst du's?«
    »Ich will es, weil ich es wollen muß und weil mein Widerspruch in deinen Entschließungen nichts ändern würde. Gegenteils. Widerspruch hat dich immer nur gereizt und dich eigenwilliger gemacht in dem, was du wolltest. Also noch einmal, ich will. Ich weiß auch sehr wohl, es sind solche Verbindungen, wie sie dir in diesem Augenblick als ein Ideal vorzuschweben scheinen, jederzeit geschlossen worden; die Kirche verbietet sie nicht. Die Kirche betont nur die Heiligkeit der Ehe, nicht das Glück der Ehe. Was ich dir also noch zu sagen habe, kommt nicht aus Prinzip oder Dogma, sondern einzig und allein aus dem Herzen einer Schwester, die dich liebt. Und als solche rufe ich dir zu: Gehe nicht diesen Weg, halte vielmehr inne, wenn du noch innehalten kannst. Ich prophezeie dir...«
    »Ich glaube nicht an Prophezeiungen.«
    »Nun denn, so sollen sie dir auch nicht werden, und nur einem Worte noch öffne dein Ohr und deine Seele. Sieh, du teilst die Pflicht in Pflichten und die Pflichten selbst wieder in solche, die dir je nach Gefallen unerläßlich oder aber auch erläßlich erscheinen. Und zu den unerläßlichen rechnest du vor allem die Diskretion und das Dekorum und die Dehors. Aber das sind vage Begriffe. Wo ziehst du scharf die Grenze zwischen dem, was statthaft und unstatthaft ist? Was liegt innerhalb deiner ›Dehors‹, und was liegt außerhalb?«
    Es war ersichtlich, daß er hier unterbrechen wollte. Judith aber nahm seine Hand und fuhr, immer eindringlicher werdend, fort: »Und zu dem einen Worte. Bruder, noch ein zweites. Du glaubst allerpersönlichst
deiner
wenigstens sicher zu sein, sicher in dem, was du Drüberstehen und Anschauungsfreiheit und Vorurteilslosigkeit nennst. Aber auch darin irrst du. Du bist weder deines Herzens noch deiner Meinungen

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