Grant County 05 - Gottlos
zu laut ein. Verlegen hielt sie sich die Hand vor den Mund.
Mindy sagte: «Ich geh dann auch mal.» Sie wollte Nan auf die Wange küssen, doch Nan wich zurück. Als sie sich dessen bewusst wurde, beugte sie sich schnell wieder vor, wobei sie Mindy an die Nase stieß.
Mindy lachte wieder und rieb sich die Nase. «Ich rufe dich an.»
«Ja, gut», antwortete Nan, die mittlerweile dunkelrot angelaufen war. «Ich bin da. Heute, meine ich. Oder morgen, bei der Arbeit.» Sie ließ nervös den Blick durchs Zimmer schweifen, ohne Lena anzusehen. «Ich meine, ich bin da.»
«Okay», sagte Mindy, das Lächeln etwas gezwungener. Zu Lena sagte sie: «Freut mich, dass wir uns kennengelernt haben.»
«Ja, mich auch.»
Mindy sah Nan verstohlen an. «Bis später.»
Nan winkte ihr nach, und Lena sagte: «Wiedersehen.»
Als die Tür zufiel, hatte Lena das Gefühl, dass im Zimmer kaum noch Luft zum Atmen war. Nan war immer noch rot, und sie presste die Lippen so fest aufeinander, dass sie weiß waren. Lena versuchte, das Eis zu brechen. «Sie sieht nett aus.»
«Ja», antwortete Nan. «Ich meine, nein. Nicht dass sie nicht nett wäre. Es ist nur … Oje. Ich Arme.» Verzweifelt hielt sie sich die Hand vor den Mund.
Lena strengte sich an, noch etwas Positives zu sagen. «Sie ist hübsch.»
«Findest du?» Wieder wurde Nan rot. «Ich meine, nicht dass es eine Rolle spielt. Es ist nur …»
«Es ist in Ordnung, Nan.»
«Es ist zu früh.»
Lena wusste nicht, was sie sagen sollte. Sie war nicht gut darin, andere zu trösten. Sie war ganz im Allgemeinen nicht gut in Dingen, die mit Gefühlen zu tun hatten, eine Tatsache, die ihr Greg des Öfteren vorgeworfen hatte, bis er schließlich die Nase voll gehabt hatte.
«Greg», sagte Nan dann, und als Lena überrascht zum Fenster sah, erklärte sie: «Nein, ich meine vorhin. Er ist einfach vorbeigekommen. Wir saßen da. Mindy und ich. Wir haben uns unterhalten, da klopft es an und –» Sie holte Luft. «Greg sieht gut aus.»
«Ja.»
«Er sagt, er geht viel hier in der Gegend spazieren. Wegen seines Beins. Er macht Physiotherapie. Er wollte nicht unhöflich sein. Du weißt schon, falls wir ihn auf der Straße gesehen und uns gefragt hätten, was er hier macht.»
Lena nickte.
«Er wusste nicht, dass du hier wohnst.»
«Oh.»
Wieder entstand eine Pause.
Dann sagte Nan: «Also –», und Lena sagte im gleichen Moment: «Ich dachte, du bist bei der Arbeit.»
«Ich habe mir den Vormittag freigenommen.»
Lena lehnte sich an die Haustür. Offensichtlich hatte Nan ihr Rendezvous vor Lena verbergen wollen. Vielleicht war es ihr peinlich, vielleicht hatte sie aber auch Angst vor Lenas Reaktion.
Lena fragte: «Habt ihr Kaffee getrunken?»
«Es ist einfach noch zu früh für mich», erklärte Nan. «Erst als du reingekommen bist, habe ich gemerkt …»
«Was?»
«Wie ähnlich sie dir sieht. Und Sibyl.» Sie lenkte ein: «Na türlich sieht sie nicht genau so aus wie Sibyl, sie ist nicht so hübsch. Nicht so …» Nan rieb sich die Augen, dann flüsterte sie: «Scheiße.»
Wieder fehlten Lena die Worte.
«Blöde Kontaktlinsen», seufzte Nan. Sie ließ die Hand sinken, ihre Augen tränten.
«Es ist in Ordnung, Nan», sagte Lena. Plötzlich fühlte sie sich auf merkwürdige Art verantwortlich. «Es ist jetzt drei Jahre her.» Auch wenn es sich anfühlte, als wären kaum drei Tage vergangen. «Du verdienst es, dein Leben zu leben. Sybil hätte das auch gewollt …»
Nan unterbrach sie mit einem Nicken und schniefte laut. Sie zeigte auf ihre Augen. «Ich nehme die blöden Dinger besser raus. Es fühlt sich an, als hätte ich Tabasco in den Augen.»
Sie rannte ins Bad und schlug die Tür hinter sich zu. Lena fragte sich, ob sie nach ihr sehen sollte, aber sie wollte Nan nicht zu nahe treten. Sie hatte nie daran gedacht, dass Nan eines Tages wieder mit jemandem ausgehen könnte. Nach einer Weile hatte sie begonnen, Nan als asexuelles Wesen zu betrachten, als würde sie nur innerhalb des gemeinsamen Haushalts existieren. Zum ersten Mal ging Lena auf, dass Nan die ganze Zeit über furchtbar einsam gewesen sein musste.
Lena war so in Gedanken versunken, dass sie das Telefon erst klingeln hörte, als Nan rief: «Gehst du bitte ran?»
Sie nahm den Hörer gerade noch rechtzeitig ab, bevor sich der Anrufbeantworter einschaltete. «Hallo?»
«Lena», sagte Jeffrey. «Ich weiß, dass ich dir den Vormittag freigegeben hatte …»
Erleichterung machte sich in Lena breit. «Wann brauchst du
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