Grant County 05 - Gottlos
Bruder und meine Schwestern auch dazukommen. Wir haben die ganze Nacht kein Auge zugetan, weil wir uns solche Sorgen um Abby machen.»
Lena fragte: «Ist sie schon mal weggelaufen?»
«Entschuldigen Sie», Lev wandte sich an Lena. «Ich habe mich nicht vorgestellt.» Er hielt ihr die Hand hin. Lena rechnete mit dem schlaffen Händedruck, den die meisten Männer vom Land bei Frauen anwandten, vor lauter Angst, deren zarte Finger zu zerquetschen. Doch Lev drückte genauso herzhaft zu, wie er es bei Jeffrey getan hatte, und sah ihr dabei in die Augen. «Leviticus Ward.»
«Lena Adams», erwiderte sie.
«Detective?», fragte er. Sie nickte. «Wir sind außer uns vor Sorge um Abby, bitte verzeihen Sie mir meine schlechten Manieren.»
«Das ist doch verständlich», beruhigte ihn Lena. Doch sie registrierte, dass er ihrer Frage nach Abby ausgewichen war.
Lev trat galant einen Schritt zurück und ließ Lena den Vortritt. «Nach Ihnen.»
Auf dem Weg zum Haus sah Lena die Schatten der Männer hinter sich und wunderte sich über die altmodischen Umgangsformen. Als sie den Eingang erreichten, trat Lev vor, um ihr die Tür aufzuhalten, und sie trat als Erste ein.
Esther Bennett saß auf der Couch, die Füße gekreuzt, die Hände im Schoß gefaltet. Sie saß kerzengerade da, und Lena, die meistens eine schlechte Haltung hatte, drückte instinktiv den Rücken durch.
«Chief Tolliver?», fragte Esther Bennett. Sie war um einiges jünger als ihr Mann, wahrscheinlich Mitte vierzig. Ihr dunkles Haar wurde an den Schläfen grau, und in ihrem weißen Baumwollkleid und der rotkarierten Schürze sah sie aus, als wäre sie einem altmodischen Kochbuch entsprungen. Sie hatte das Haar zu einem straffen Dutt gesteckt, und nach einer Strähne zu urteilen, die sich gelöst hatte, war es fast so lang wie das ihrer Tochter. Lena hatte keinerlei Zweifel, dass sie die Mutter der Toten war. Die Ähnlichkeit war frappierend.
«Nennen Sie mich Jeffrey», bat Jeffrey, dann sagte er: «Sie haben ein wunderschönes Heim, Mrs. Bennett.» Das Kompliment machte er immer, selbst wenn er ein Rattenloch betrat. Das Zuhause der Bennetts war am ehesten als schlicht zu beschreiben. Nichts stand herum, weder auf dem Couchtisch noch auf dem Kaminsims. Nur ein einfaches Holzkreuz schmückte die unverputzte Backsteinwand über dem Kamin. Zwei leicht verschlissene Ohrensessel flankierten das Fenster, das auf den Vorgarten hinausging. Die orangefarbene Couch stammte vermutlich noch aus den Sechzigern, war aber gut erhalten. An den Fenstern gab es keine Vorhänge oder Jalousien, und auf den Dielenbohlen lagen keine Teppiche. Die Deckenlampe gehörte wahrscheinlich noch zur Originaleinrichtung, was bedeutete, dass sie so alt wie Ephraim war. Lena nahm an, dass sie sich hierim Besuchszimmer befanden, aber ein Blick in den Flur verriet ihr, dass der Rest des Hauses genauso aussah.
Jeffrey schienen ähnliche Gedanken durch den Kopf zu gehen. «Wohnen Sie schon lange hier?», fragte er.
Lev antwortete: «Wir sind schon vor Abbys Geburt eingezogen.»
«Bitte», sagte Esther und breitete die Hände aus. «Nehmen Sie doch Platz.» Als Jeffrey sich setzte, stand sie auf, und als auch er wieder aufstand, wiederholte sie nur: «Bitte», und bedeutete ihm, sitzen zu bleiben.
«Der Rest der Familie wird gleich da sein», erklärte Lev.
Esther fragte: «Möchten Sie etwas trinken, Chief Tolliver? Eine Limonade?»
«Das wäre schön», antwortete Jeffrey, weil er wusste, dass sich die Frau wohler fühlte, wenn er annahm.
«Und Sie, Miss –»
«Adams», antwortete Lena. «Nein danke.»
Lev bemerkte: «Esther, die Frau ist Detective.»
«Oh», sagte die Frau verlegen. «Tut mir leid, Detective Adams.»
«Macht nichts», versicherte Lena, und plötzlich hatte sie das merkwürdige Gefühl, sie hätte etwas falsch gemacht. Irgendetwas war seltsam an dieser Familie, und Lena fragte sich, welche Geheimnisse sie verbarg. Seit dem Choleriker auf der Farm war sie auf alles gefasst: Wie der Herr, so’s Gescherr.
Lev sagte: «Limonade wäre schön, Esther», und Lena entging nicht, wie geschickt er die Fäden in der Hand hielt. Er schien gut darin, die Führung zu übernehmen, und solche Leute waren ihr bei Ermittlungen immer verdächtig.
Esther besann sich auf die Pflichten der Gastfreundschaft. «Bitte, fühlen Sie sich wie zu Hause. Ich bin gleich wieder da.»
Bevor sie das Zimmer verließ, berührte sie im Vorbeigehen flüchtig die Schulter ihres Mannes.
Die Männer
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