Grant County 05 - Gottlos
durchgelesen.»
«Sie erlauben ihr, Liebesromane zu lesen?», fragte Lena überrascht. Irgendwie hätte sie vermutet, dass die Leute hier ähnlich extrem wären wie die Fanatiker, die Harry Potter verbieten wollten.
«Die Kinder dürfen lesen, was sie wollen. Das ist ihre Entschädigung dafür, dass wir keinen Fernseher haben. Selbst wenn sie Schund lesen, ist es immer noch besser, als vor der Röhre zu sitzen.»
Lena nickte, obwohl sie sich ein Leben ohne Fernseher gar nicht vorstellen konnte. Hirnloses Glotzen war das Einzige, was sie in den letzten drei Jahren davor bewahrt hatte, durchzudrehen.
«Da seid ihr ja», sagte Lev, als sie ins Zimmer kamen. Er nahm Esther ein Glas ab und reichte es Jeffrey.
«Oh, nicht das», Esther nahm ihm das Glas wieder ab. «Das hier ist für Sie.» Sie gab Jeffrey die nachgesüßte Limonade. Wie Ephraim war er aufgestanden, als die Frauen ins Zimmer kamen. «Ich schätze, Sie mögen sie nicht so sauer wie Lev.»
«Wahrscheinlich nicht», stimmte Jeffrey ihr zu. «Danke, Ma’am.»
Die Haustür öffnete sich, und ein Mann, der aussah wie Esthers Zwillingsbruder, kam in Begleitung einer älteren Frau herein. Er führte sie am Arm, offenbar fiel ihr das Gehen schwer.
«Entschuldigen Sie die Verspätung», sagte er.
Jeffrey trat mit der Limonade in der Hand zurück, um der Frau seinen Sessel zu überlassen. Eine zweite Frau betrat hinter ihnen das Haus. Mit ihrem rotblonden Haar ähnelte sie Lev. Sie trug es zu einem Knoten gebunden, der mitten auf ihrem Kopf saß. Auf Lena wirkte sie wie der Inbegriff der prallen Bauersfrau, die auf dem Feld ein Kind zur Welt brachte und anschließend weiter Baumwolle pflückte. Die ganze Familie war so verdammt kernig. Esther war die Zierlichste von ihnen, und selbst sie überragte Lena um einen halben Kopf.
«Das hier ist mein Bruder Paul», stellte Lev vor. «Und das hier sind Rachel», die Bäuerin nickte grüßend, «und Mary.»
Esthers Auskünften zufolge war Mary jünger als Lev, etwa Mitte vierzig, aber ihr Aussehen und ihr Verhalten ließen sie zwanzig Jahre älter wirken. Vorsichtig setzte sie sich in den Sessel, als fürchtete sie, sie könnte stürzen und sich die Hüfte brechen. Selbst ihre Stimme klang wie die einer alten Frau. «Sie müssen entschuldigen, aber meine Gesundheit macht mir zu schaffen», sagte sie selbstmitleidig.
«Mein Vater konnte leider nicht kommen», erklärte Lev, der seine Schwester geflissentlich überging. «Er hatte einen Schlaganfall und verlässt das Haus nur noch selten.»
«Gar kein Problem.» Jeffrey wandte sich an die Neuankömmlinge. «Ich bin Chief Tolliver. Das ist meine Kollegin Detective Adams. Vielen Dank, dass Sie alle gekommen sind.»
«Setzen wir uns doch», schlug Rachel vor und ging zur Couch. Sie winkte Esther zu sich. Erneut beobachtete Lena, wie die Aufgaben in der Familie verteilt waren: Sitzverteilung und Küchenarbeit waren Frauensache, alles andere machten die Männer.
Mit einem unauffälligen Nicken bedeutete Jeffrey Lena, sich auf Esthers andere Seite zu setzen. Er lehnte sich an den Kamin. Lev wartete, bis Lena Platz genommen hatte, dann half er Ephraim in den Sessel, der neben Jeffrey stand. Jeffreys hochgezogene Brauen ließen Lena vermuten, dass auch er in ihrer Abwesenheit interessante Dinge zu hören bekommen hatte. Sie konnte es kaum abwarten, ihre Eindrücke zu vergleichen.
«Also», begann Jeffrey, nachdem das Begrüßungszeremoniell endlich beendet war und sie zur Sache kommen konnten. «Sie haben angegeben, dass Abby seit zehn Tagen vermisst wird?»
«Es ist meine Schuld», sagte Lev, und Lena fragte sich kurz, ob er zu einem Geständnis ansetzen wollte. «Ich dachte, dass Abby ihre Eltern nach Atlanta auf die Mission begleitet hätte. Und Ephraim nahm an, sie wäre bei uns auf der Farm geblieben.»
Paul warf ein: «Wir alle dachten, sie wäre in sicherer Obhut. Ich denke nicht, dass einen von uns die Schuld trifft.» Lena musterte den Mann zum ersten Mal. Er hörte sich sehr nach einem Rechtsanwalt an. Außerdem schien er der Einzige zu sein, dessen Kleidung nicht selbstgenäht war. Er trug einen Nadelstreifenanzug, ein weißes Hemd mit dunkelroter Krawatte und hatte einen sorgfältig frisierten Haarschnitt. Zwischen seinen urwüchsigen Brüdern und Schwestern war er deutlich als Großstädter zu erkennen.
«Auf jeden Fall hat keiner von uns etwas Böses geahnt», sagte Rachel.
Offensichtlich hatte Jeffrey bereits alles über die Holy Grown Farm
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