Grappa 11 - Grappa und das große Rennen
hatte sich zu mir umgedreht, sein Ich schien noch verstrickt zu sein in einen ausklingenden Traum, denn er war wehrlos und weit weg.
Ich strich mit dem Finger über seine Wange, die nass war vor Tränen, und malte eine unsichtbare Wellenlinie auf seine Haut, die ihn wärmen, aufheitern und aus der Trauer hinausführen sollte.
»Wie viel Uhr ist es?« Er war wieder im Jetzt.
»Gleich elf. Ich muss los.«
»Warum?«, fragte Nazmi erstaunt. »Heute ist doch Sonntag. Ich dachte, wir frühstücken zusammen.«
Ich sprang aus dem Bett. »Ich muss in die Redaktion.«
»Du arbeitest heute?«
»Eigentlich nicht. Aber ich will wissen, wie die Sache gestern Abend ausgegangen ist. Vielleicht hast du es ja geschafft und den Schuppen abgefackelt. Ich hoffe nicht, dass aus der Sklavinnenauktion eine Art Hexenverbrennung geworden ist. Sonst haben wir die Polizei der Republik auf dem Hals.«
»Schön, dass du ›wir‹ gesagt hast.«
Ich sah zu ihm herab. Er hatte sich nur knapp bedeckt. Sein Körper war kräftig und schön, seine Haut strahlte noch die Wärme der letzten Nacht aus, in der wir – entzückt voneinander – Körperflüssigkeiten ausgetauscht hatten. Es fiel mir schwer, ihn gerade jetzt allein zu lassen.
Ich setzte mich wieder aufs Bett, schob die dunklen Haare aus seiner Stirn und sah ihn an. »Ich bin auf deiner Seite und werde dich nicht verraten«, versprach ich. »Nicht, nachdem ich deine Geschichte kenne. Und jetzt muss ich los.«
Ich ging ins Bad, um zu duschen. Wohlig streckte ich meinen Leib dem warmen Wasserstrahl entgegen, blieb sekundenlang bewegungslos stehen und versuchte, die einzelnen Wassertropfen zu orten, vergebens. In meinen Gliedern bemerkte ich anfänglichen Muskelkater durch die ungewohnten heftigen Bewegungen der vergangenen Nacht. Ich stellte das Wasser ab.
Plötzliche Heiterkeit stieg in mir auf, ich erblickte mein Spiegelbild, sah eine Frau mittleren Alters, die offensichtlich bester Laune war, die einige Falten im Gesicht und auf dem Hals hatte und deren Busen und Hintern zu üppig waren. Dafür war das Weiß in den Augen weißer als sonst und das Blaugrün der Pupillen wirkte wie frisch geputzt, die Lippen waren nicht mehr lila und schlecht durchblutet, sondern knallrot und ein bisschen geschwollen von der ungewohnten Intensität ihres Gebrauches. Die Haut der Wangen war wie mit Stahlwolle bearbeitet, durch Nazmis aufkeimenden Bart wund gescheuert.
Ich trocknete mich ab, streifte die geliehenen Sachen über und ging ins Schlafzimmer.
Er lag noch immer im Bett, beobachtete mich. »Geht es dir gut?«
»Bestens, Baby.«
»Wann sehen wir uns wieder?«
»Heute Abend? Gegen acht? Dann bringe ich dir deine Sachen vorbei.«
Er nickte. Ich trat ans Bett, deckte ihn zu, küsste ihn auf die Nasenspitze. »Schlaf noch eine Runde. Bis heute Abend.«
»Du kommst bestimmt wieder?«
»Ich verspreche es.«
Dann rief ich die Taxizentrale an, ich musste mein Auto am Club Chez Justine abholen. Ich nannte einen falschen Namen und bestellte den Wagen zu einer Gaststätte, die ein paar Straßen von Nazmis Wohnung entfernt lag. Niemand sollte zurückverfolgen können, wo ich die Nacht gewesen war.
Verschnupft
Mein Cabrio stand unberührt auf dem Parkplatz vor dem Club. Das Untergeschoss des Hauses schien völlig ausgebrannt zu sein. Meinen zurückgelassenen Mantel konnte ich wohl vergessen. Feuerwehr und Polizei hatten das Gelände mit einem rot-weißen Band gesichert. Ich wollte kein unnötiges Aufsehen erregen. Also schnell rein ins Auto und weg.
Zu Hause zog ich mir neue Sachen an. Mir war nach einem kräftigen Frühstück. Ich schlug ein paar Eier in die Pfanne, zerschnitt ein bisschen Parmaschinken und warf ihn dazu. Salz und Pfeffer – fertig! Viel schwarzen Kaffee, Körnerbrot und Kräuterquark.
Ich schaute auf die Uhr. Gleich würden Nachrichten gesendet werden. Die Frequenz des Lokalradios war einprogrammiert. Ein paar Werbespots, dann die Meldungen des Tages. Ich hörte:
Durch ein Feuer in einem Privatclub am Sauerländer Weg entstand gestern Abend ein Sachschaden von etwa einer Dreiviertelmillion Mark, Menschen kamen zum Glück nicht zu Schaden. Nach Zeugenaussagen hatte ein vermummter Mann die Privatfeier eines Kulturvereins gestört. Der Täter warf zwei so genannte Molotowcocktails zwischen die feiernden Personen. In der daraufhin ausbrechenden Panik gelang ihm die Flucht. Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft haben die Ermittlungen aufgenommen. In einer ersten
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