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Grass, Guenter

Grass, Guenter

Titel: Grass, Guenter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Grimms Woerter
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wurde.
    So
sehe ich ihn aus seiner Stube in Wilhelms unbelebte wechseln, beladen mit
Büchern, die er stets aufs neue ordnet. Manche hat er kürzlich kostbar
einbinden lassen; er, der als sparsam gilt, scheut nicht die Kosten. Auch
kleidet ihn neuerdings ein farbiger Hausrock, der aller calvinistischen Strenge
spottet.
    Jetzt,
wieder zurück, hockt er über Korrekturbögen, kramt in Zettelkästen voller
Belege zum Buchstaben F. Beide Stuben gleichen einander, sind ähnlich
biedermeierlich möbliert und kommen mir dennoch merklich verschieden vor.
Ohne ins Detail gehen zu wollen: auf Wilhelms nun ungenutztem Schreibtisch
fallen Bündel ragender Gänsekiele auf, die inmitten der Ordnung auf Jacobs
Tisch fehlen; er schreibt mit Stahlfedern.
    Wie
reizt es mich jetzt, ihm einen Füllfederhalter, jadoch, einen Montblanc mit
Goldfeder zum Geschenk zu machen, ihn listig zu überreden, zumindest auf
winzigem Zettel die Erprobung der gefüllten Feder zu erwägen.
    Dieses
Stichwort, lateinisch penna, klingt altdeutsch fedara, erinnert an Flederwisch
für Federwisch und wird im Wörterbuch neunzehn Spalten benötigen, um von Feder
über Federlecker, als »elenden Schreiber«, die Federscharen, die poetisch bei
Spee, genannt von Langenfeld, zu finden sind und das Federspiel, welches im
Tristan das »schoene vederspil« heißt, bis zum Schreibgebrauch von Federkielen
zu reichen, denen Schüler schöpferische Kraft nachsagt: »ein federzug von
dieser hand und neu erschaffen wird die erde.«
    Ich
muß zugeben: der Füllfederhalter nimmt sich in Jacobs Hand fremd aus; genauso
mutwillig wie albern wäre es, wollte ich ihm meine
Olivetti-Reiseschreibmaschine oder gar ein Notebook mit der neuesten
Windows-Kreation unterschieben.
    Er
greift zur Stahlfeder, taucht sie ins Fäßchen, streicht der Tinte Überfluß ab,
schreibt: »es steckt noch in der feder, ist in der feder geblieben; das wort
erstarb schon in der feder«, fügt Jean Paul als Autor hinzu und läßt Kant
sagen: »das gelehrte volk schreit dringend nach der freiheit der feder.«
    Nachdem
er diesen Wortartikel erschöpft hat, sehe ich ihn lustwandeln, wie in seiner
»Rede über das Alter« gepriesen: Schritt nach Schritt im Tiergarten. Immer noch
beeilt. Am Goldfischteich, um ihn herum, auf Wegen zwischen Bäumen,
einheimischen und zugewanderten, die ihm als Ahorn, Buche und Birke, Ceder,
Eberesche und Fichte alle bisher abgehandelten Buchstaben in Erinnerung rufen.
Dann aber sind es die folgenden, die auf nachgewiesenen Ursprung, den
Kommentar, auf Zitate warten.
    Wenn
er vor sich hinmurmelt, hört es sich an, als spreche er mit dem Bruder, als
solle ihm mit dem G der Genuß beim Gehen, mit dem H das Herz und der
Herzenswunsch empfohlen werden. Nun dient er Wilhelm das I an, das erlauben
werde, spaltenlang beim Stichwort ich zu verweilen, das Ich zu feiern, es
absolut zu setzen, nach ihm süchtig zu sein oder bescheiden es
kleinzuschreiben. Zumindest soll er ein Ja dem J abgewinnen; ihm gehören das
Jahr, das Jenseits, der Jubel und auch das Jammertal an.
    Und
jetzt ist Jacob an einem Wintertag unterwegs. Schnee lastet auf kahlem Geäst.
Jeder Schritt knirscht. Sperlinge scharren nach Futter. Die Venus friert, doch
er nimmt den Frost nicht wahr.
    Jetzt,
in knospender Frühlingszeit - Kastanien blühen weiß und rot - kommen Freude und
Frohsinn auf, reich an Zitaten, in denen freudigst frohlockt wird und sich die
Wörter wie im Tanz finden.
    Jetzt,
im Sommer, ist er seinem Schatten voraus, dann hinterdrein, als wollte er ihn
fangen, hofft nun auf fallenden Regen, auf Feuchte, die bei Luther und
Paracelsus belegt sind.
    Und
jetzt, im Herbst, fallen ihm mit den Blättern Wörter zu, die von der Fron oder
Fran, dem mitteldeutschen Frone und - ohne nachweislich gotischer Herkunft zu
sein - von früher Bedeutung reden, als Fron noch für heilig, herrlich, für den
Engel des Herrn als »fronebote« stand, aber mit zwischengemogeltem H zur Frohn
der Arbeit führte, zur erzwungenen Frohn auf dem Frohnacker, zum Frohnbauern,
dem Frohndienst der Knechte, die tagaus tagein ihren Herren frohnen mußten,
weshalb Johann Elias Schlegel angesichts anderer Herrschaft rief: »hier frei
sein gilt mir mehr als in palästen frohnen!«
    Hingegen
sagt Hippel, »obgleich ich eigentlich kein diener gottes, sondern des lieben
gottes fröhner bin.« Und Jacob Grimm, der jahrzehntelang seine Arbeitskraft auf
dem Frohnaltar des Wörterbuchs opferte, wird, als er nach längerem Lustwandel
im Tiergarten

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