Großer-Tiger und Christian
»ah! ihr wisst nicht, wer Schong-Ma ist? Ich sehe gut, dass ihr es nicht wisst. Gestern war auch
einer da, der nach Schong-Ma fragte, aber Onkel Tschen hat ihm gesagt, er kenne keinen, der so heiße.«
»War das einer mit einem Gewehr und mit einer gelben Mütze?«, fragte Großer-Tiger.
»Woher weißt du das?«, rief Tschin erschrocken.
»Wir wissen eben alles«, setzte ihm Christian auseinander, »und wir wissen auch, dass dein Schong-Ma Grünmantel ist.«
»Warum fragt ihr mich«, klagte Tschin, »wenn ihr seinen Familiennamen doch kennt?«
»Das macht man so«, erklärte Großer-Tiger, »damit eine angeregte Unterhaltung zustande kommt.«
»Es geschah nur deswegen«, sagte Christian.
»Keine Erwähnung ihm gegenüber!«, bat Tschin; »er will nicht, dass wer anderer seinen Namen weiß. Alle nennen ihn Grünmantel,
und mehr soll niemand wissen.«
»Sorge dich nicht«, beruhigte Christian, »wir sind gewohnt, dichtzuhalten.«
»Ich hatte gehofft«, sagte Tschin, »es würde was anderes in dem Blitzbrief stehen, etwa dass wir hier wegziehen würden, oder
so was. Aber ich sehe schon, alles bleibt, wie es ist. Da gibt es keine Hilfe.«
»Morgen«, tröstete Großer-Tiger, »hast du die Reise vor dir. Ist es sehr weit bis Aschan?«
Tschin lachte. »Bis Aschan sind es zwei Tagesritte mit einem guten Pferd. Ich habe nur einen Esel.«
»Ich verstehe«, sagte Großer-Tiger und überlegte in einem fort, wo Aschan liegen könne; »mit dem Esel geht es nicht. Wie machst
du das? Ich meine, wohin bringst du den Blitzbrief?«
»Ich reite nach Muruktschich hinüber«, erklärte Tschin, »dort wohnt seit einem Monat der Dondur-Wang in einer Schlucht, die
ich kenne. Der Wang hat Soldaten, die sich gerne etwas verdienen. Einem von ihnen gebe ich den Blitzbrief, dann reitet er
nach Aschan, und wenn er nach vier Tagen zurückkommt und die Quittung des Postamtes bringt, gibt ihm Onkel Tschen so viel,
dass er sich ein Vergnügen gönnen kann. Gewöhnlich betrinken sich beide.«
»Und du?«, fragte Christian.
»Still! sie kommen!«, flüsterte Tschin.
Ein kurzes Schweigen entstand, und Christian bewunderte im Stillen Tschin, der die Tritte gehört hatte, trotzdem alle, Glück,
Grünmantel und Onkel Tschen, Schuhe mit Filzsohlen trugen. Bevor sie in die Jurte traten, hörte man Grünmantel draußen reden.
»Du solltest«, sagte er zu Glück, »die Lampe ausmachen, damit das Petroleum nicht vergeudet wird.«
»Es ist meine Lampe und mein Petroleum«, erwiderte Glück unfreundlich.
»Freilich, freilich«, knurrte Grünmantel, und dann hob er den Teppich vom Eingang, blinzelte und raffte den Rock zusammen,
um an Tschin und Großer-Tiger vorbeizukommen.
»Aha!«, rief Onkel Tschen anerkennend, »zwei Arbeiter schaffen mehr als einer!«
»Drei mehr als zwei«, verbesserte Glück, setzte die Laterne aufden Boden, streifte die Rockärmel hoch und nahm die Mütze ab. »Drachenzahn!«, rief er, »du musst das Feuer besser in Gang
bringen, das Wasser soll sieden! Komm, lass mich an deinen Platz!«
»Was ich immer sage«, raunzte Onkel Tschen, »da sieht man es wieder: Mein Neffe ist ein minderwertiges Stück. Er dient einzig
zu meiner Belästigung.«
»Nein«, erwiderte Glück, »aber Kochen ist nun einmal meine Leidenschaft.«
»Sieben Steuerleute und acht Matrosen«, bemerkte Grünmantel abfällig, »bringen kein Schiff in den Hafen.«
»Gib dir keine Mühe mit Sprichwörtern«, spottete Glück; »entweder du sagst sie falsch, oder du weißt nur die Hälfte davon,
oder du verwechselst Steuerleute mit Matrosen. Auf jeden Fall kommt was Verkehrtes heraus.«
»Freilich, freilich«, knurrte Grünmantel nachgiebig. und dann wurde es still.
Alle schauten zu, wie Glück den Teig in Vierecke schnitt, die ganz gleich groß waren, und keiner wusste, wie das zuging. Dann
würzte er das Fleisch mit Schildkrötentunke und Knoblauch, überall kam ein Körnchen Salz dazu, und als er schließlich feingemahlenen
Ingwer mit einem Lufthauch darüberstäubte, war alles getan, um aus dem Fleisch kleine Kugeln zu formen, die in die Vierecke
gelegt wurden.
»Ich gäbe etwas um eine Prise Zucker«, jammerte Glück; aber da war nun wirklich nichts zu wollen, und Glück schlug betrübt
mit einem breiten Messer leicht auf die Fleischkugeln, damit sie etwas flacher wurden. Das geschah wegen des schönen Aussehens,
das die gefüllten Dreiecke kriegen sollten, die jetzt aus den Vierecken geformt wurden. Es war
Weitere Kostenlose Bücher