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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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Mein Großvater zum Beispiel hieß Reichtumsherr. Merkst du was, Ohnezehen?«
    »Ich merke nichts«, sagte Ohnezehen, »sprich weiter, deine Rede gefällt mir.«
    Da erzählte Ungemach die traurige Geschichte von seinem Großvater Reichtumsherr und von seinem Vater, der Herbstfreude hieß
     und das ganze Jahr über Pech hatte. Mittlerweile begann der Kupferkessel zu dampfen. Als das Wasser darin kochte und Blasen
     warf, brachte Ohnezehen den Kessel herbei, und Großer-Tiger rief bewundernd:
    »Ein Feuertopf! Es ist ein richtiger Feuertopf wie   …«
    »Wie in Peking«, vollendete Ohnezehen selbstbewusst.
    »Esst«, sagte er dann und stellte eine Platte mit rohen Fleischschnitten neben den Feuertopf. Aus der Truhe langte er beinerne
     Essstäbchen, und: »Jetzt sollt ihr essen«, sagte Ohnezehen.
    Christian schaute, wie Ungemach das mache, und Ungemach schaute, ob Glück es wisse, und alle drei schauten schließlich auf
     Großer-Tiger, der weltmännisch gewandt mit den Essstäbchen eine Fleischschnitte fasste und in das sprudelnde Wasser hielt,
     bis sie gar war. Da merkte Christian, wie man es machte, und Glück und Ungemach lernten es auch. Als das Wasser mit der Zeit
     eine Fleischbrühe wurde, holte Ohnezehen Löffel, und auf jeden Löffel legte er ein gerolltes Chrysanthemenblatt als Suppeneinlage.
     Es ging zu wie in der feinsten Gastwirtschaft.
    »Ihr habt einen Hund?«, fragte Ohnezehen.
    »Bitte«, rief Christian, »wir haben einen Hund.«
    Ohnezehen nahm einen Napf mit Knochen und legte ein tüchtiges Stück Fleisch obendrauf. »Gib es ihm«, sagte er, »mich kennt
     euer Hund nicht oder nur von der schlechten Seite.«
    Christian öffnete die Tür, die eiserne Kugel senkte sich ein Stück, und draußen stand erwartungsvoll der Pudel. Das Fleisch
     verschlang er ohne weiteres. Nachher legte er sich neben der Knochenschüssel in die Sonne, und Christian freute sich, wie
     der Pudel die Knochen zerkrachte. Man hörte es in der Stube.
    »Du und du«, sagte Ohnezehen plötzlich zu Christian und Großer-Tiger, »seid ihr satt?«
    »Zehntausendfachen Dank, großer Alter«, sagte Christian.
    »Der Herr verschwendet sein Herz über Billigkeit«, sagte Großer-Tiger.
    »Was für ein Unsinn«, knurrte Ohnezehen. Er schrie: »Ich bin kein Herr. Merkt euch das.«
    Großer-Tiger kletterte flink vom Kang herunter und stellte sich neben Christian. Sie verneigten sich, und Christian sagte:
     »Wir gehorchen deinem Wunsch.«
    »Es ist uns leid, dich nicht ehren zu dürfen«, fügte Großer-Tiger hinzu.
    Ohnezehen stützte sich auf den Stock, blickte von einem zum andern, und dann sagte er wie vorher: »Du und du«, und dabei tippte
     er Großer-Tiger und Christian auf die Brust, »und ich, wir drei reiten in einer Stunde. Mit Pferden«, sagte Ohnezehen.
    »Halt einmal«, rief Glück und sprang von der Matte auf, »ich werde dir die Ohren waschen, alter Hung-Hu-Tze, damit du deutlich
     hörst, was angängig und was unverschämt ist. Diese beiden Fürstensöhne sind mir anvertraut, und den möchte ich sehen, der
     kommt und sagt: Geht dahin und geht dorthin.«
    »Spiele dich nicht auf, Glück«, sagte Ohnezehen ruhig, »was ich sage, geschieht.«
    »Ha!«, schrie Glück, »es gibt Halunken, die meinen, sie besitzen die goldene Befehlsrolle, aber sie haben bloß ein freches
     Mundwerk, und du gehörst dazu. Alter Schnapphahn, windiger Pferdedieb und Lügendrescher, wer bist du, dass du Reden führst
     wie der gelbe Kaiser?«
    »Ich bin dein Onkel«, sagte Ohnezehen trocken, »schäme dich, dass du deines Vaters Bruder schmähst.«
    Es wurde still in der Stube. Man hörte den Pudel die Knochen zerbeißen und weiter weg die Kamele das Derresgras raufen. Durch
     das Guckloch im Fenster fiel ein Bündel Sonnenstrahlen schräg auf den Boden, und der Staub, den Glück aufgewirbelt hatte,
     tanzte darin. Ungemach saß mit untergeschlagenen Beinen auf dem Kang und lächelte vermittelnd.
    »Es geschieht nicht oft«, sagte er, »dass die Wiedersehensfreude so aufrichtig ist.«
    »Du mein Onkel!«, schrie Glück und trat drei Schritte zurück, »ich kenne dich nicht.«
    »So ist es richtig«, sagte Ungemach, »jede echte Familientagung beginnt mit Nichtwiedererkennen.«
    »Halte den Mund«, rief Glück zornig, »dieser Mensch   …«
    »Dieser Onkel«, verbesserte Ungemach geduldig.
    »Lebt deine Mutter noch in der Löwengasse?«, fragte Ohnezehen dazwischen.
    Glück hielt sich an der Wand fest. Er starrte Ohnezehen ins Gesicht, aber

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