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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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in wenigen Tagen seid ihr wieder beisammen.«
    »Es gibt keine Hilfe«, rief Glück verzweifelt. Er stützte den Kopf zwischen die Hände, er blickte auf den runden Sonnenfleck
     am Boden, und dann war es mit seiner Beherrschung vorbei. Er weinte und er schrie: »Du! Auch du bist einer von denen, die
     mein Leben verdarben. Wohin werdet ihr mich jetzt wohl schicken? Wohin werdet ihr diese meine jüngeren Brüder bringen? In
     die Burg? Ha!«, schrie Glück, »ihr seid Halunken, und wir sind in eurer Hand. Aber ich fluche dir und allen, die mit dem Uralten-Herrn
     im Bunde stehen.« Glück stand auf. »Den Weg nach Tschagan-Burgussun kenne ich nicht.«
    »So muss ich reiten«, sagte Ohnezehen, »obwohl ich alt bin, und   … nun, du weißt lieber Neffe, weshalb es mir schwer fällt.«
    »Ich weiß es«, rief Glück hohnlachend, und sein grässliches Gelächter erfüllte ihn mit Genugtuung. Endlich war es ihm vergönnt,
     diesem Menschen zu zeigen, was er über ihn dachte; diesem Kerl von Onkel, dem man die Zehen abgeschnitten hatte, von dem niemand
     daheim mehr sprach, weil er ein Verbrecher war mit verlorenem Gesicht. Glück setzte sich schwer auf die Truhe zurück, und
     sein Blick fiel auf die beiden Silberbarren. Gleich würde er sie von dem Deckel auf die Erde stoßen, ganz gewiss würde er
     das tun. Und bleiben würde er auch nicht. Zwei Augenblicke noch, dann würde er aufstehen und gehen.
    »Ruhe dich ein wenig aus«, sagte Ohnezehen, »aber du«, wandte er sich an Ungemach, »kommst mit mir.«
    Er zog einen Fellmantel an, er langte nach dem Stock und nach einem kleinen Messinghorn, das am Türrahmen hing und trat hinaus.
     Ungemach folgte ihm bereitwillig.
    Sie gingen nebeneinander wie Brüder, und als sie zehn Schritte gegangen waren, kamen sie an den Rand des Mohnfeldes, und sie
     gingen einträchtig weiter, bis es zu Ende war. Wo das Dickicht anfing, gab es eine Art Bank aus Lehmziegeln, und von der Bank
     aus übersah man alles: Das Mohnfeld, die Hütte und den Platz für die Pferde. Sie setzten sich ohne Förmlichkeiten.
    »Sieben Jahre war ich hier«, sagte Ohnezehen, »und jetzt gehe ich. Ich kehre nicht mehr zurück.«
    »Aber«, rief Ungemach, »deine Habe! Was geschieht mit der?«
    »Eben deshalb rede ich mit dir. Du bist ein trauriger Mensch, und solche Menschen sind verlässlich, denn sie erwarten wenig
     oder nichts. Sobald ich mit den zwei Buben fort bin, macht ihr es euch in meiner Hütte bequem. Bleibt diese Nacht hier und
     reitet morgen weiter. Morgen habt ihr zwei ledige Kamele. Ladet die Truhe auf und alles, was sich bei mir findet. Es ist nicht
     viel. Kannst du Schafe schlachten?«
    »Nein«, rief Ungemach erschrocken, »das verstehe ich nicht.«
    »Du hast ein Gewehr. Kannst du schießen?«
    »Schießen kann ich«, sagte Ungemach.
    »So schieße meine zwei Schafe tot. Glück soll sie zerteilen, da habt ihr lange Zeit Fleisch. Folgt der Straße der Nachdenklichkeit.
     Wenn ihr jeden Tag fünfzig Li marschiert, kommt ihr am dritten Tag in ein Tal, wo es Wasser und Gras gibt und hohe Felsen.
     Das Tal heißt Tschagan-Burgussun, und dort wartet ein Führer. Er wird euch zu uns bringen.«
    »Und dann?«, fragte Ungemach.
    »Auf das Ende folgt immer wieder ein Anfang«, sagte Ohnezehen. »Sei getrost, ich habe das Unglück der Welt kennengelernt.«
    »Wie ich«, sagte Ungemach teilnehmend.
    »Trotzdem bin ich kein Verbrecher.«
    »Ich auch nicht«, erklärte Ungemach.
    »Jetzt«, setzte ihm Ohnezehen auseinander, »gehe ich eine alte Rechnung begleichen. Vorher wollte ich meine Heimstatt nocheinmal betrachten. Das habe ich getan, und ich bin fertig damit.«
    Er stand auf, und Ungemach stand auch auf. Als sie am Ende des Ackers anlangten, nahm Ohnezehen das Messinghorn und blies.
     Gar nicht sehr laut, nur so. Da gab es einen langen quäkenden Laut, und dann wartete Ohnezehen.
    »Geh hinein«, sagte er zu Ungemach, »und hole mir den Sack, der neben dem Kang auf dem Boden steht. Es ist Hafer darin, richtiger
     Hafer aus Russland, wie man ihn in Uljassutai zu kaufen kriegt.«
    Ungemach ging ins Haus, und als er die Tür öffnete, saß Glück genauso auf der Truhe, und Christian und Großer-Tiger standen
     genauso verschüchtert neben der Feuerstelle wie vorher. Die beiden Silberbarren lagen neben Glück auf dem Deckel und blinkten.
    »Dein Onkel«, sagte Ungemach beiläufig, »ist ein sehr zu verehrender Herr.«
    Glück hob den Kopf, aber er brachte nichts weiter fertig, als den Mund einmal

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