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Großer-Tiger und Christian

Großer-Tiger und Christian

Titel: Großer-Tiger und Christian Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frritz Mühlenweg
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reisen!«, erwiderte Dascha.
    Er begleitete Glück noch einmal zum Wagen, denn er hatte bisher kein Automobil gesehen. Glück stieg ein, und dann machte er
     tüt, tüt, tüt. Da kamen die Hunde gelaufen, bellten und fletschten die Zähne, und Dascha verneigte sich. Christian und Großer-Tiger
     winkten.
    Glück wäre gern mit großer Geschwindigkeit fortgefahren, um Dascha zu zeigen, was für einen prächtigen Wagen er hatte, aber
     das ging nicht, denn der Boden war weich, und die roten Lössfelsen kamen näher. An ihrem Fuß war Sand angeweht, und als der
     Wagen in die enge Durchfahrt bog, warfen die Hinterräder den Sand in die Luft. Da konnte man Dascha nicht mehr sehen; die
     Hunde blieben zurück, und die Räder warfen immer mehr Sand hinter sich. Als sie endlich wieder Grund fassten, machte der Wagen
     einen Sprung, und da merkte jeder, dass Glück etwas vom Fahren verstand. Er hatte den Augenblick kommen sehen und hielt das
     Steuer eisern fest. Auf beiden Seiten gab es nur wenige Zentimeter Platz; aber deswegen streiften die Kanten der Ladefläche
     kein bisschen, und auch die Felsen blieben heil. Christian und Großer-Tiger riefen laut: »Bravo!« Dazu trommelten sie auf
     die Eisenfässer, und Christian schrie obendrein: »Sän bolna!«, obgleich er hätte »Sän bolsa« rufen müssen; aber das wusste
     er nicht.
    Jenseits des Felsentors öffnete sich das, was Glück eine andere Welt genannt hatte. Ein sanfter Hang glitt in ein weites Tal,
     in dem eine große Pferdeherde weidete. Es mochten vierhundert Pferde sein. Drei Reiter hüteten sie, und wahrscheinlich war
     der Bruder Daschas dabei. Die Sonne glänzte auf dem gelben Wintergras, der Mittagwind fuhr darüberhin, und die zahllosen Hügel
     in der Ferne waren auch gelb und glänzten. Nur die Nordseite der Hügel war kalt und dunkel, und manchmal gab es einen weißen
     Fleck, wo der Schnee vom Tag vorher nicht vergangen war. Im Süden, ganz am Rand der unfassbar weiträumigen Landschaft, lagerten
     Gebirgsketten, die verwirrend viele Zähne und Zacken hatten. Sie flimmerten in der Sonne, und wenn man genau hinschauen wollte,
     begannen sie auf und ab zu hüpfen.
    Das war also das Tal Schara-Murin. Für ein Tal war es eigentlich viel zu groß, weil alles, was es rundherum zu sehen gab,
     eben dieses Tal war. Aber es gab keinen Fluss und nicht einmal einen Bach darin; kein kleines Rinnsal war da, nur leere Steinbette.
     Ab und zu schob sich zwar im Norden zwischen die Hügel ein blauer lebhafter Streifen, der wie ein Gewässer aussah, aber wer
     die Mongolei und die Wüste Gobi kannte, wusste gleich, dass es ein Schwindel war, auf den niemand hereinfällt. Die geschwätzigen
     Araber nennen das eine Fata Morgana; die Mongolen verlieren kein Wort darüber.
    In der Mitte von Schara-Murin lag ein breiter, dunkler Klotz, gar nicht hoch, aber wild zerklüftet und fremd in dieser Gemeinschaft
     sanfter Hügel. Von der Höhe des Felsentores sah man in die Klüfte wie in ein aufgeklapptes Labyrinth. Das ganze Massiv war
     aus schwarzgrünem Stein gemacht, und so wild wie sein Aussehen war auch sein Name: es hieß Muruktschich.
    Obschon Muruktschich im Anfang schwer auszusprechen geht, könnte man darüber hinwegkommen; doch hier geraten wir zum zweiten
     Mal in Schwierigkeiten. Wie sollen wir glauben, dass der Gebirgsstock den schönen und ungebärdigen Namen Muruktschich führt,
     wenn erstens feststeht, dass er so heißt, und wenn zweitens ganz sicher ist, dass er nicht so heißt!
    Großer-Tiger und Christian wussten nichts davon; aber Glück,der es ihnen später erklärte, sagte: »Es ist ähnlich wie mit den Mongolenmenschen. Die Berge haben zwar Namen, aber man spricht
     sie nicht aus, am wenigsten, wenn man den Berg vor sich hat. Solange er weit weg ist und man ihn nicht sieht, kann man ohne
     Gefahr von ihm reden. Anders ist es, wenn man ihn vor Augen hat, wie diesen schrecklichen Muruktschich   … Auf allen Bergen, besonders aber auf den wilden und hohen, wohnen Dämonen, die nicht haben wollen, dass man ihren Wohnsitz
     mit Namen nennt. Darum hilft man sich mit einer harmlosen Bezeichnung. Muruktschich heißt so viel wie zerklüftete Gegend.
     Wenn das die Dämonen hören, haben sie keine Ahnung, dass man von ihrem Berg spricht, der natürlich ganz anders heißt. Würde
     man den richtigen Namen sagen, gäbe es bald ein Unglück von der allerbesten Sorte.«
    »Ach«, sagte Christian, und: »Es gibt keine Hilfe«, sagte Großer-Tiger.
    Das sagten sie

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