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Grün war die Hoffnung

Grün war die Hoffnung

Titel: Grün war die Hoffnung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: T.C. Boyle
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als Stammgast von The Nougat, dem einzigen anderen Ort, wo man was zu trinken kriegen konnte in Boynton, Einwohnerzahl: 170. »Hallo, Lynette«, sagte Skid, »Sess fährt für eine kleine Einkaufstour nach Fairbanks, weißt du schon?«
    Sie legte das Sandwich hin, als wäre es eine Vierteltonne schwer, schenkte ihm ein Grinsen, das kaum ihre Lippen kräuselte, und zog an ihrer Zigarette. Sie arbeitete hier nur. Hatte erst vor kurzem angefangen. Sie tauschte mietfreies Wohnen in einer Hütte hinter der Kneipe und alles, was sie essen und trinken konnte, gegen null Gehalt und null Trinkgeld, solange Wetzel Setzler, der Besitzer der Kneipe, nicht da war. Wie jetzt zum Beispiel. »Ach ja?« sagte sie und sah von einem zum anderen.
    Sess sah beiseite. Er war ungeduldig. Langsam wurde es Zeit zum Aufbrechen, wirklich, und er stellte sich schon vor, wie die vertraute plattgewalzte breite Schotterstraße unter seinen Reifen abrollte, bis sich der erste Asphalt seit sieben oder acht Monaten wie Glatteis unter ihm erstrecken würde, wenn er in die Stadt einritt, und dann die Läden und Häuser und Bars. Er trank sein Bier aus, zuckte die Achseln.
    »Er will sich da ’ne Frau schnappen, stimmt doch, Sess?«
    In diesem Augenblick wurde ihm klar, warum er den Kerl nicht mochte – er redete so, wie sich ein Tourist vorstellte, daß man in Alaska redete, dabei war er in Los Angeles aufgewachsen und hatte einen Abschluß in Romanistik. »Du weißt schon, schnell ein bißchen Mehl kaufen, dann noch Eier, Milch, eine neue Frau und so weiter ...«
    Lynette trug ein verblichenes Flanellhemd, bis oben hin zugeknöpft, Bluejeans und Stiefel. Ihr Haar war kurzgeschoren wie bei einem Mann, sie war von Seattle in einem brandneuen Kombi raufgekommen, und niemand wußte, ob sie nun verheiratet, geschieden, Jungfrau oder Exnonne war. In einem Lederhalfter, das ihr lässig über den Gürtel hing, trug sie eine Pistole, und in Sess’ Augen war sie deshalb eine besonders gefährliche Spinnerin, die Sorte, die extra nach Norden kam, um ihre Wildwestphantasien in Technicolor auszuleben. »Wozu hast’n die Knarre dabei?« hatte er gefragt, als er sein zweites Bier bestellte. Sie hatte ihn trotzig angesehen: »Zum Schutz.« Und er hatte wissen wollen: »Vor was denn?« Darauf der steinerne Blick, der Blick von tausend Kneipen und Tanzschuppen und noch mal tausend Nächten ganz allein, mit nichts vor sich als dem schwarzen Loch des Fernsehers. »Nicht vor den Bären«, hatte sie gesagt. »Und auch nicht vor Elchen und Wölfen. Sorgen macht mir nur die Bestie auf zwei Beinen.«
    Jetzt sagte sie: »Eine neue Frau? Ich wußte ja gar nicht, daß du eine alte hattest.«
    Sollte er diesen Spruch einer Antwort würdigen? War es die Zeit und die Mühe wert? Wollte er sich ungebührlich aufführen, ausrasten und ihr sagen, sie solle scheißen gehen, und dazu vielleicht noch Skid Dentons Kopf über den Tresen dribbeln, als kämpfte er sich gerade durch eine aggressive Verteidigung unter dem Korb? Nein. Nein, das wollte er nicht. Tatsache war, daß er noch nie eine Ehefrau gehabt hatte, weder alt noch neu, denn die letzte Frau – Jill –, die einen lässigen Sommer und einen harten, herzzerreißenden Winter in seinem Vier-mal-vier-Meter-Blockhaus mit allen Schikanen, oder zumindest dem Nötigsten, geblieben war, hatte ihn schwer blamiert. Die Leute schüttelten immer noch den Kopf, als wäre das Ganze eine Art Witz gewesen, eine Lachnummer, die er – und auch Jill – nur zu ihrer Belustigung abgezogen hatten. Eine Seifenoper. Eine Fernsehshow.
    Er sammelte sein Wechselgeld vom Tresen, wobei er Probleme mit den kleinen Zehn-Cent-Stücken hatte, weil er sich an diesem Morgen mit dem Taschenmesser die Fingernägel geschnitten hatte, als Teil eines allgemeinen Versuchs, die äußere Erscheinung aufzupolieren. Er schob sich das Hemd in die Hose, wirbelte herum und hielt auf die Tür zu. Dort blieb er stehen, die Tür war schon einen Spaltbreit geöffnet, so daß die Mücken von draußen und die Mücken von drinnen die Plätze tauschen konnten, was ihnen während ihres kurzen Blutsaugerlebens das allerwichtigste zu sein schien. »Vielleicht hab ich ja Glück«, sagte er. »Richtig Glück. Also wünscht mir welches.«
    Während der langen Autofahrt ließ er die Gedanken schweifen und hielt auf irgendwie abstrakte Weise nach Wild Ausschau, dabei hatte er das Seitenfenster offen, um das Land riechen zu können und die Kälte zu spüren, die vom Chatanika River

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