Grün war die Hoffnung
grobknochigen Finger aus und lenkt ihre Aufmerksamkeit auf ein weißes, emailliertes Schild von der Größe einer Schulwandtafel, auf der das Verbot in unmissverständlich knallroter Schrift steht. Wie hat er das nur übersehen können? Nicht dass es irgendeinen Unterschied gemacht hätte. Diese Insel wird geschützt für die Allgemeinheit, sie gehört der Allgemeinheit.
»Und was sind Sie?« fragt Dave. »So eine Art Polizist?«
»Ich bin Biologe.«
»Gratuliere.«
Sickafoose geht darauf nicht ein. Er hat etwas in der Faust, die er, einen Finger nach dem anderen, öffnet – eine Art langsamer Striptease, in dessen Verlauf rostrotes Katzenfutter und blassgelbe Vitamintabletten zum Vorschein kommen. Wilson tippt an den Schirm seiner Mütze, sagt: »Wir müssen dann mal los. Schönen Tag noch« und geht zur Leiter.
»Moment«, sagt Sickafoose. Er streckt die Hand aus. »Wissen Sie, was das ist?«
Jetzt spürt er ihn, den beschleunigten Puls jener Wut, an der Dr. Reisers Tabletten nur leise kratzen können, und er kann sich nur mühsam beherrschen, dem Typ nicht vor die Füße zu spucken. »Nein«, sagt er, und seine Stimme bleibt ihm beinahe in der Kehle stecken. »Nie gesehen.«
Ein Augenblick vergeht. Wilson hat die Hand schon an der Leiter und ist drauf und dran, in das Boot hinunterzuklettern, und das sollte er ebenfalls tun – er sollte verschwinden und das hier vergessen. »Sie wissen doch, dass es gesetzlich verboten ist, Tiere in einem Nationalpark zu füttern, oder?« sagt Sickafoose. »Wenn es das ist, was Sie getan haben. Das ist doch Tierfutter, nicht?«
Noch ein Augenblick, länger, viel länger. Er denkt an die Ratte, die er an einem traurigen Morgen neben der Straße gefunden hat, fest in das Gewand ihrer Qual gehüllt, ein vollkommenes Wesen, ganz und gar vollkommen, das ihm in allen Einzelheiten lebhaft vor Augen steht – die blassen, feingliedrigen Finger und Zehen, die Schnurrhaare, zurückgestrichen und glänzend, als wären sie gebürstet, die zarte Schnauze, die dunklen, blutigen Nasenlöcher und die in den Höhlen liegenden leidenden Augen –, und das alles ist so sinnlos, so falsch, falsch, falsch. Doch er sagt nur: »Lassen Sie mich jetzt durch oder was?«
Dann sitzen sie im Beiboot. Und dann sind sie wieder an Bord der Paladin . Und dann kommt der Regen, er kommt in einer Reihe von Böen, die die Wellen zum Kochen bringen, und scheiß auf den Champagner, scheiß auf diese ganze Aktion, denn von allen Augenblicken, die vergangen sind, seit er die Paladin gekauft hat, von allen Augenblicken, die er damit verbracht hat, das Boot in Schuss zu halten und damit bei jedem Wetter und in schwerster See die Küste hinauf und hinunter und zu den Inseln zu fahren, wählt der Motor ausgerechnet diesen, um den Dienst zu versagen.
BOIGA IRREGULARIS
Als Mitte der fünfziger Jahre der Bestand der einheimischen Vögel auf der Insel Guam stark zurückging und sie in den sechziger und siebziger Jahren ganz verschwanden, wusste niemand, warum. Der Verdacht der Forscher fiel auf DDT, Pflanzenschutzmittel, den Verlust von Lebensraum sowie Epidemien, und erst als Julie Savidge Anfang der achtziger Jahre Feldforschungen für ihre Dissertation betrieb, fiel das wissenschaftliche Augenmerk auf ein bis dahin wenig beachtetes Reptil, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg auf Guam aufgetaucht war. Die in Australien, Malaysia und Neuguinea beheimatete Braune Nachtbaumnatter war wohl in einer Munitionskiste, im Motorraum eines Militärfahrzeugs oder vielleicht im Radkasten eines Transportflugzeugs der Marine auf die Insel gelangt. Ihr Auftreten wurde zwar registriert, doch da diese Tiere nachtaktiv sind und auf Bäumen leben, kamen nur wenige Menschen mit ihnen in Kontakt. Nachdem Savidge alle anderen Faktoren ausgeschlossen hatte, beschloss sie, die Ausbreitung der Schlangen von Apra, dem im Westen gelegenen Haupthafen, bis zu den südlichen, östlichen und nördlichen Küsten der Insel zu dokumentieren, und stellte fest, dass es eine Korrelation zwischen ihrer Zunahme und dem weitgehenden Verschwinden der einheimischen Vogelwelt gab. Das Rätsel war gelöst. Das Problem bestand weiter.
Auf Guam fand die Braune Nachtbaumnatter ein Schlangenparadies vor. Die einzige andere Schlangenart war ein harmloses Tierchen, so groß wie ein Regenwurm, und stellte keine Konkurrenz dar, und es gab keinerlei Raubtiere, die die Zahl der Nachtbaumnattern begrenzt hätten. Das Nahrungsangebot war reichlich und bestand aus etwa
Weitere Kostenlose Bücher