Guido Guerrieri 01 - Reise in die Nacht
Marlboro an, aber er nahm sie nicht. Stattdessen zog er ein Päckchen Diana hervor und zündete sich eine davon an.
Er sprach erst, nachdem er die Zigarette ausgeraucht hatte, als das Schweigen unerträglich zu werden begann.
»Kann ich mit diesem Schnellverfahren freigesprochen werden?«
Dieser Mensch war viel zu intelligent. Wenn es zu einem Schnellverfahren kam, würde er mit Sicherheit verurteilt werden. Das hatte er begriffen, auch ohne dass ich es ihm sagte.
Mir war unwohl bei der Antwort.
»Rein technisch, rein theoretisch, ja.«
»Was heißt das?«
»Das heißt, dass ein Freispruch theoretisch möglich, aber sehr unwahrscheinlich ist, weil der Richter in einem Schnellverfahren sein Urteil allein auf die Akten gründet, die der Staatsanwalt ihm vorlegt.«
Ich machte eine Pause und dachte, es hat keinen Sinn, um den heißen Brei zu reden.
»Sagen wir, dass es praktisch unmöglich ist. Andererseits könntest du dir mit einem Schnellverfahren einiges ersparen...«
»Ja, das habe ich verstanden, die Strafe wäre nicht mehr lebenslänglich. Wenn wir uns für das Schnellverfahren entscheiden, werde ich ganz sicher verurteilt, aber sozusagen mit Rabatt. Richtig?«
Mein Unwohlsein nahm zu. Ich hatte das Gefühl, rot anzulaufen.
»Ja, das ist richtig.«
»Und wenn wir uns nicht für dieses Schnellverfahren entschließen, was passiert dann?«
»Dann kommt die Sache vors Schwurgericht. Das heißt, es wird einen öffentlichen Prozess mit acht Richtern geben, von denen zwei Berufsrichter sind und sechs ehrenamtliche Schöffen, also normale Bürger. Wenn wir es auf ein Urteil des Schwurgerichts ankommen lassen, musst du ernsthaft mit lebenslang rechnen.«
»Aber grundsätzlich gäbe es die Möglichkeit, freigesprochen zu werden?«
»Schon, aber die Chancen sind schlecht.«
»Besser als beim Schnellverfahren?«
Ich antwortete nicht gleich, atmete einmal tief durch und rieb mir das Gesicht mit der Hand.
»Etwas besser. Nicht viel, aber etwas besser. Beim Schnellverfahren kommt es so gut wie sicher zu einer Verurteilung, bei einem Schwurgerichtsprozess dagegen weiß man nie, da kann alles passieren. Alle Zeugen müssen vom Staatsanwalt vernommen werden, und danach dürfen wir sie ins Kreuzverhör nehmen. Das heißt, ich als dein Verteidiger kann ihnen Gegenfragen stellen. Es kommt vor, dass ein Zeuge eine früher gemachte Aussage widerruft oder sich in Widersprüche verstrickt, oder dass irgendein neues Element dazukommt. Aber wir gehen ein sehr großes Risiko ein.«
»Wie groß? Wie viele Chancen habe ich konkret?«
»So was kann man nicht genau beziffern. Fünf, maximal zehn Prozent.«
»Warum bist du für ein Schnellverfahren?«
»Was heißt, warum? Weil es das Klügste ist. Bei dieser Richterin kommst du mit der Mindeststrafe davon und in zehn...«
»Ich habe es aber nicht getan.«
Ich atmete noch einmal tief durch und zündete mir eine Zigarette an.
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte, und sagte natürlich das Falsche.
»Hör mal zu, Abdou. Ob du es getan hast oder nicht, spielt für mich keine besonders große Rolle. Für einen Anwalt ist es manchmal sogar besser, nicht zu wissen, was sein Mandant getan hat. Das hilft ihm möglicherweise, einen klaren Kopf zu bewahren und die beste Wahl zu treffen, ohne sich von seinen Gefühlen leiten zu lassen. Verstehst du, was ich meine?«
Abdou nickte kaum merklich. Seine Augen schienen völlig in ihren schwarzen Höhlen versunken. Ich schaute weg und fuhr fort.
»Wenn wir uns nicht für das Schnellverfahren entschließen, wenn wir vors Schwurgericht ziehen, dann ist es, als würden wir um dein Leben pokern – mit sehr geringen Gewinnchancen. Außerdem würde dieses Spiel Geld kosten, viel Geld. Ein Schwurgerichtsprozess dauert lang und ist sehr kostspielig.«
Noch während ich dem Klang meiner eigenen Worte lauschte, merkte ich, dass ich Mist redete. Gleichzeitig begriff ich den Grund meines Unwohlseins.
»Willst du damit sagen, ein Schnellverfahren ist das Beste, weil ich nicht bezahlen kann?«
»Das habe ich nicht gesagt!« Meine Stimme war unweigerlich lauter geworden.
»Wie viel Geld kostet ein Prozess vor dem Schwurgericht?«
»Das Geld ist nicht das Problem. Das Problem ist, dass du dein Leben ruinierst und lebenslang kriegst, wenn wir vors Schwurgericht ziehen.«
»Mein Leben ist sowieso ruiniert, wenn man mich dafür verurteilt, ein Kind getötet zu haben. Wie viel Geld also?«
Ich fühlte mich mit einem Mal sehr, sehr müde und ließ
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