Guten Morgen, Tel Aviv
Prozent von ihnen sind nicht berufstätig. Zum Vergleich: Bei den ultraorthodoxen Frauen arbeiten 50 Prozent nicht, und bei den säkular-jüdischen Frauen sind nur 20 Prozent ohne Job.
Trotzdem scheint die Frauenbewegung im Heiligen Land gar nicht so bedeutend. Während ich in Deutschland einen ausgeprägten Sinn für Feminismus pflegte und auch viele meiner deutschen Freundinnen sich mit Fragen der Gleichberechtigung beschäftigen, ernte ich von israelischen Frauen oft nur verständnislose Blicke, wenn ich mich über die Ungerechtigkeiten dieser Welt gegenüber Frauen ereifere. Die Alice Schwarzer Israels heißt Shulamit Aloni und kämpft vor allem für Menschenrechte im Allgemeinen. Die Wahrheit ist, dass viele israelische Frauen die Diskussion über Feminismus für obsolet halten. Dafür habe ich gehört, dass es jetzt mehrere Gruppen von israelischen Männern gibt, die sich dem Kampf für »Männerrechte« und »Antifeminismus« anschließen.
Es wundert mich nicht.
Wiedergeburt contra Leben
Deutsche Feiertage sind ja bekanntlich vom Christentum beeinflusst. Bei uns geht es dementsprechend meistens um Geburt, Erlösung, Auferstehung und Geschenke. Und sogar den traurigsten Anlässen können deutsche Feiernde noch etwas Positives abgewinnen: Oder wie kann man sich sonst erklären, dass selbst an Ostern, wo immerhin der arme Jesus gekreuzigt wurde, fröhliche Kinder durch Gärten krabbeln und Süßes suchen?
Jüdische Feiertage sind etwas anders. Bei ihnen geht es um leiden, entkommen, verfolgt und gerettet werden. Theoretisch.
Seitdem ich in Israel lebe, fragen mich viele Deutsche, was das mit dem Judentum denn nun auf sich hat. Ab und zu nutze ich die Gelegenheit, um über jüdische Geschichte, Tradition und Lebenseinstellung zu schwadronieren. Meistens zitiere ich nur, wie viele Juden ihre Feiertage beschreiben würden: »Sie haben versucht uns zu töten, wir haben überlebt, lasst uns essen.« Ja, Essen, die Essenz des Lebens, spielt eine unverzichtbare Rolle bei jedem jüdischen Feiertag (auch an jedem anderen Tag, aber lassen wir das). Auch bei uns stehen Mütter und Väter durchaus an Feiertagen stundenlang in der Küche, aber während Gänse und Fische gebraten werden, läuft im Hintergrund meist ruhige Musik, und alle machen leise Feiertagsgesichter.
Wie Sie sich vorstellen können, ist das in Israel anders. Israelis sind an Feiertagen extra laut. Grölend und brüllend mampfen sie ihr Zehn-Gänge-Menü, während Lärm- und Alkoholpegel mit rekordverdächtiger Geschwindigkeit in die Höhe schnellen. Zur Verteidigung muss man sagen, dass in deutschen Familien im Durchschnitt sechs Leute zusammenkommen, während es hier in Israel locker 50 sind. Trotzdem werde ich den Eindruck nicht los, dass religiöse Belange an jüdischen Feiertagen in Israel schon einmal untergehen. Denn, wenn man mal ehrlich ist, Essen schlägt hier immer Religion.
Wenn nun also diese beiden unterschiedlichen Feiertagskulturen aufeinandertreffen, wird es wirklich interessant. Und so war das erste Mal, als ich mit meinen Eltern Feiertage israelischer Art beging, mehr als unterhaltsam. Zugegebenermaßen entstamme ich einer Familie von Schnapsdrosseln. Und mein Vater ist sozusagen der Vogelkönig. Auf jeder unserer Familienfeiern, bei denen Alkohol immer Essen schlägt, ist er der last man standing und tänzelt auch noch dann durch den Saal, wenn alle anderen schon rotzbesoffen in der Ecke liegen. Trotzdem glaube ich, dass sogar er von der stürmischen Art, jüdisch-israelische Feiertage zu gestalten, überrascht war. Anders kann ich mir nicht erklären, dass wir ihn am Ende des Abends erschöpft auf der Tanzfläche fanden. Die Kippa, statt auf den Hinterkopf geklemmt, tief ins Gesicht gerutscht.
Ich verstehe ihn gut. Auch ich war erschlagen von Lärm und Lebendigkeit, als ich meine ersten Feiertage in Israel verbrachte. Lebendigkeit ist übrigens das Schlüsselwort. Denn das scheint der wesentliche Unterschied zwischen deutschen und jüdischen Feiertagen zu sein. Die deutschen Christen feiern ihren Messias. Die Juden sich selbst. Einmal mehr haben sie es geschafft zu entkommen. Einmal mehr konnten sie einer Katastrophe entgehen. Es ist also kein Wunder, dass sie so glücklich, laut und lebhaft sind – immerhin sind sie dem Tod mal wieder von der Schippe gesprungen. Ich versuche derweil ein guter Immigrant zu sein und passe mich dem verbreiteten Futter- und Schreiverhalten zu gegebenem Anlass brav an. Und mein Vater? Der will
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