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Härtling, Peter

Härtling, Peter

Titel: Härtling, Peter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hölderlin
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Lobsänger produziert hatte und fühlte sich noch nachträglich gepeinigt. Sie könnten mich gebrauchen, sagte er, ich will aus meinem republikanischen Denken kein Hehl machen.
    Und ich? fragte Sinclair. Willst du mir mein Republikanertum abstreiten?
    Hölderlin merkte, daß er daran war, Sinclair zu verletzen. Nein, Isaac, ich wüßte keinen glühenderen Demokraten als dich, nur kannst du spielen, dich verbergen, bist viel geschickter als ich Tölpel. Mich kann man so leicht einfangen.
    Dich? Sinclair war verblüfft. Dich kann keiner einfangen, Hölder, manchmal meine ich sogar, du seiest ein Luftgeist und nicht einer von uns.
    Sinclairs Mutter, die dem Ende der Unterhaltung zugehört hatte, lachte, versicherte, sie werde Hölderlin, wenn er es wünsche, aufs Schloß begleiten. Er stimmte, erleichtert, zu. Im Schutz dieser großmütigen Frau würde er sich nichts vergeben.
    Die Unterhaltung auf dem Schloß verlief zu seiner Überraschung ungezwungener als die Vorstellung bei den Gontards. Der Landgraf selbst hielt sich, verärgert über die häufige Einquartierung französischer Offiziere auf dem Schloß, in Frankfurt auf. Hölderlin hatte mit einer größeren Gesellschaft gerechnet, doch außer einer so schweigsamen wie häßlichen Hofdame hatte die Landgräfin nur noch eine ihrer Töchter, die Prinzessin Auguste, bei sich. Es wurde Tee serviert, Sinclairs Mutter wußte durch Fragen und Anekdoten geschickt die Gespräche zu beleben, so daß Hölderlin nach der Verabschiedung die geradezu familiäre Freundlichkeit lobte. Sinclair war zufrieden mit ihm.
    Er hatte eine Geschichte begonnen, deren Mittelpunkt er war und von der er nichts wußte. Sie kommt später ans Licht, wird zu einem Bild, das in seiner idyllischen Stille der Zeit ebenso verhaftet wie entronnen ist:
    »Gestern aß der diesjährige rector Magnificus bei uns, der weltberühmte Professor Hegel – mir war das eigentlich fatal – und ich schämte mich fast, viel mit ihm zu reden, … da fing er von Hölderlin an, der für die Welt verschollen ist – von seinem Buch Hyperion – alles das hatte époque in meiner Kindheit mir gemacht wegen Schwester Auguste in Beziehung auf sie … Es war eine Art Erinnerung erweckt wie sonst als durch einen Geruch oder Melodie oder Ton. Ich sah auf einmal das Buch Hyperion, wie es grün eingebunden lag auf dem Fenster der Schwester Auguste, und die schönen Weinranken am Fenster, den Sonnenschein hindurch, den kühlen Schatten in den dunklen Kastanien allén vor dem Fenster, hörte die Vögel – kurz die ganze Vergangenheit ging mir auf in dem befreundeten Nahmen.« Das trägt Augustes um neun Jahre jüngere Schwester Marianne, die mit dem Prinzen Wilhelm von Preußen verheiratet und, nach dem Tod der Königin Luise, die Erste Dame am PreußischenHofe ist, am 6. März 1830 in ihr Tagebuch ein. Zweiunddreißig Jahre sind seit der Vorstellung Hölderlins im Homburger Schloß vergangen, seit er die damals einundzwanzigjährige Prinzessin Auguste zum ersten Mal sah, sprach. Die Zeit hat sie auseinandergerissen, vergessen sind alle Aufbrüche: Hegel wurde zum bewunderten, gefürchteten Staatsphilosophen in Berlin, Hölderlin dämmerte schon vierundzwanzig Jahre in seinem Tübinger Turm. Marianne wird sich, als sie dies niederschrieb, an das »Testament« ihrer Schwester erinnert haben, zu dem sie, ungewollt, 1816 den Anstoß gab. In diesem Jahr hatte der greise Landgraf seine Familie nach Homburg gerufen, um die wiederhergestellte Souveränität Homburgs zu feiern. Die Ära Napoleons war vorüber. Die Kleinstaaterei fand sich wieder in ihr Recht gesetzt. Von den neun Kindern kamen sechs. Einer der Söhne war gefallen, zwei der Töchter entschuldigten sich. Es muß ein sie alle bewegendes Fest gewesen sein; sie wanderten, angeleitet von den Eltern, durch Jugend und Kindheit. Marianne und Auguste riefen sich gegenseitig das Vergangene ins Gedächtnis, spazierten nachts im Schloßgarten, und wie ein Nachhall zu dieser genossenen Gemeinsamkeit klingt die Frage, die Marianne ihrer Schwester kurz darauf in einem Brief stellt: »Wie hattest Du Hölderlin geliebt?« Für Auguste kam das unerwartet. Sie hatte diese Liebe verborgen, verdrängt. Erst drei Monate danach antwortete sie – eben mit ihrem »Testament«. Sie zieht einen Schlußstrich. Die Frage muß sie mit Gewalt getroffen haben. Nun will sie dieses Leben gelebt, diese Liebe geliebt haben und neu beginnen. Das war gewesen. Aber es war so gewesen, daß es ihr noch immer

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