Härtling, Peter
viel zu nah geht und sie noch immer manches mit Verschweigen schützen muß. Ihr war, ehesie Hölderlin kennenlernte, der »Hyperion« in die Hände gefallen: »Den ganzen Tag las ich, und ich dachte mich in diese Gedanken hinein – es war mir wie aus dem Herzen gesprochen. So las ich es wohl zwanzig Mal durch – Was fernen Bezug darauf hatte, wurde mir heilig … Was war aber natürlicher, als daß der dieses geschrieben für mich, auch ohne ihn gesehen zu haben, eins mit dem Inhalt wurde. – Er wohnte bald darauf einige Jahre hier. – Ich höhrte von seinem Freunde, wenn ich wollte von ihm reden. (Dieser selbst hatte keine Ahndung meines Interreße.) – Gesprochen habe ich ihn in diesen paar Jahren drei oder vier Mal, eigentlich gar nicht – gesehen vielleicht sechs Mal. Aber die Einbildungskraft hatte freies Spiel – und was sie leisten kann, das hat sie treulich geleistet! … Dies belebte Bild nährte das Verlangen nach Liebe in mir – ohne welchem man doch glaube ich nicht Mensch werden kann … Denke, wenn ich hierbei mir so erinnere was ich mir in ihm vorspiegelte – so finde ich gerade das, was mich so unerwartet, so mächtig jezt ergrif . Ich lüge – und träume nicht – auch fällt es mir in dem Augenblick als ich es da schreibe zum Erstenmal ein. – das ist doch recht sonderbar.«
Die in tiefer Frömmigkeit erzogene Frau hatte ihre Liebe widerrufen, weil sie nicht erfüllbar war, weil sie beim zweiten Aufenthalt Hölderlins in Homburg, als seine Verstörung für jedermann sichtbar wurde, einsah, daß sie ihn nie erreichen könnte. Er »ist ein Narr geworden. – Er hat wohl die Tiefe seines Gefühls zu sehr durch Träume isolirt . –« Da redet sie auch von sich selbst.
Marianne weiß es genauer und korrigiert. Auch ihr habe Hölderlin gefallen und sie habe seine Nähe und seine Aufmerksamkeit gesucht. Und Auguste um so mehr! Eine der Schwestern, Amalie, sei eingeweiht gewesen und habe vonder »großen heftigen Leidenschaft« Augustes zu Hölderlin gesprochen. Auguste täusche sich, sie könne, weil sie verletzt sei, nicht so »unendlich klar und deutlich« über sich urteilen. »Der Schmerz als er wahnsinnig wurde, muß doch sehr groß für Dich gewesen sein! –«
Hat sie, als er ihr und ihrer Mutter gegenübersaß, überhaupt ein Wort gesprochen? Hat sie ihm sagen wollen: Ich las Ihren »Hyperion« – viele Male? Wahrscheinlich wußte die Landgräfin von alledem nichts.
Aber er, der sich ein wenig schüchtern mit ihrer Mutter unterhielt, glich dem Bild, das sie sich von Hyperion gemacht hatte. Seine anfällige Schönheit, seine ausdrucksvolle, etwas zu hoch liegende Stimme. Die Übereinstimmung von Phantasie und Wirklichkeit machte sie hilflos. Sie liebte ihn mit dem ersten Blick, und so heftig, daß sie in ihrem ganzen Körper einen brennenden Schmerz verspürte. Hätte er ihr in diesem Augenblick ein Zeichen gegeben, sie hätte sich an ihn verloren. Aber er bemerkte nichts.
Ist ihm nichts aufgefallen? Er war doch empfindlich, spürte Spannungen. Und war, da er ihnen ausgeliefert war, manchmal darüber ärgerlich. Allerdings waren alle seine Gedanken auf Susette gerichtet, und die Angst, sie verlieren zu müssen, wuchs. Dennoch wurde er auf Auguste aufmerksam. Ihr betontes, geradezu störrisches Schweigen irritierte ihn. Schaute er sie an, senkte sie den Blick. Sie wirkte außerordentlich kindlich auf ihn, und ihre sonderbaren aus der Symmetrie fallenden Gesichtszüge fesselten ihn. Er kannte diese fragende Zurückhaltung. Er konnte sie sich erklären. Nur war er nicht mehr ansprechbar. Er hatte alle Liebe vergeben; im Grunde war er schon nicht mehr fähig zu lieben.
Mit Sinclair unterhielt sie sich über ihn, fragte nach seinem Befinden, ließ wissen, daß sie den »Hyperion« gelesen habe und liebe.
Den »Hyperion«, nicht ihn.
Hielt Hölderlin sich in der Schloßbibliothek auf oder besuchte er, mit Sinclair, eine der Hofdamen, erschien auch bald die Prinzessin. Sie war in ihrer Erwartung so angespannt, daß sie, hätte er sie nur flüchtig berührt, ohnmächtig geworden wäre. Er versuchte, besonders gelassen zu wirken, sie zu beruhigen.
Sie hat sicher oft von ihm geträumt.
Sie hat sich Szenen ausgedacht, die sie beschämten.
Sie hat gegen ihn und für ihn gebetet.
Es war sein Glück, daß er nicht ansprechbar war. Er wäre dieser Affäre nicht mehr gewachsen gewesen.
So zog sie sich mit einer Idealgestalt, Hyperion, zurück. Darin waren sie sich gleich, und die
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