Hahnemanns Frau
folgten uns in einer zweiten Kutsche bis Halle, wo ich noch Freiherr von Gersdorff, meinen lieben Freund und Paten meines Sohnes, besuchte und dort im Hotel Kronprinzen für unseren kleinen Kreis ein Abschiedsmahl gab.
Wie schon auf der Reise von Paris nach Köthen trug meine Frau wieder Männerkleidung. Wir hatten uns so entschieden, weil uns diese Verkleidung als sicherer erschien. Wie hätte ich alter Mann ihr helfen können, wenn man ihr zu nahe getreten wäre? Also drehten wir den Spieß einfach um und taten, als wäre sie … nein, er zu meinem Schutz bei mir. Wir hatten diesbezüglich viel Spaß und amüsierten uns prächtig, wenn wir als Vater und Sohn die Leute an der Nase herumführten. Nur was die Bewirtung in den Poststationen und die Gemütlichkeit der Postkutschen betraf, hatten wir nichts zu lachen. Das Essen war ebensosehr eine Zumutung wie die Zimmer, und meine armen alten Knochen wurden auf dieser Reise so durchgeschüttelt, daß meine Frau sie jeden Abend aufs neue liebevoll sortieren mußte – was mir allerdings nicht unangenehm war.
Am 21. Juni, nach dreiwöchiger Fahrt, trafen wir endlich in Paris ein. Es war ein schwülwarmer Tag, der sich langsam zu Ende neigte. Mit einer Mietdroschke fuhren wir von der Poststation in die Wohnung meiner Frau in der Rue des Saints- Pères Nr. 26, wo wir bereits ungeduldig von ihrem Ziehsohn Charles Lethière und Rose, ihrem guten Hausgeist, erwartet wurden.
Ich kann Ihnen gar nicht sagen, was ich empfand, als ich an den Fenstern der hochgelegenen Wohnung stand und direkt in die Charité, das berühmte Krankenhaus von Paris, sah. Es war mir wie ein Omen, das mir zeigte, daß mein Weg als Arzt und Homöopath noch lange nicht zu Ende ist. Während ich mich in Köthen mehr oder weniger damit abgefunden hatte, daß es für mich keine Zukunft mehr geben wird, wußte ich in diesem Moment, daß ich hier wieder die Kraft finden werde, mich meiner Aufgabe und notfalls auch meinen Widersachern, den Feinden der Homöopathie, zu stellen.
Auch Mélanies Vater, der in meinem Alter ist, lernte ich bereits in den ersten Tagen nach unserer Ankunft kennen. Er und ich verstehen uns sehr gut, und oft besuchen wir zu dritt die Oper. Überhaupt genieße ich die Möglichkeiten, die diese wunderschöne Stadt einem kunstbeflissenen Menschen bietet.
Eine Zeitlang ruhten wir uns aus und genossen das Alleinsein als eine Art verspäteter Flitterwochen. Doch die Wohnung meiner Frau erwies sich schon bald als zu klein, und wir beschlossen umzuziehen. Bereits am 15. Juli errichteten wir unser Domizil in der Rue Madame Nr. 7, von wo aus ich diesen Brief schreibe.
Charles ist nicht mit uns hier eingezogen. Er bewohnt nun ganz in der Nähe eine eigene kleine Wohnung, bleibt aber in ständiger Verbindung zu uns. Er hat beschlossen, Apotheker zu werden, wodurch es uns eines Tages möglich sein wird, unsere Medikamente selbst herzustellen – nur so können wir sicher sein, sie wirklich in der Weise aufbereitet zu erhalten, wie wir sie brauchen und haben wollen.
Auch das wird Sie interessieren: Kaum umgezogen, wurde ich von einigen Homöopathen aufgesucht, die meine Schüler werden wollten. Als ich ihnen jedoch unmißverständlich klarmachte, daß ich nur diejenigen annehmen werde, die bereit sind, meiner Lehre ohne Wenn und Aber zu folgen, und die nichts nach ihrem eigenen Gutdünken vermischen werden, stellten sie sich sofort gegen mich. Sie wollten Medikamente in viel zu großen Gaben verabreichen und sie dann allzu häufig wiederholen. Darüber kamen wir in Streit. Ein Wort gab das andere, ich nannte sie sans-culottes – Bastardhomöopathen –, und sie verließen mich im Zorn.
Wie es scheint, lieber Freund, bringt mir meine unbeugsame Haltung auch hier in Paris Feinde ein. Aber ein wenig Homöopathie ist so gut wie gar keine Homöopathie, und solche Leute sind nichts anderes als Allopathen im neuen Kleid! Was das betrifft, kennen Sie meine Einstellung und wissen, daß ich nicht nachgeben werde.
Sobald ich die Genehmigung zum Praktizieren erhalten habe, werde ich Sie umgehend benachrichtigen. Nun wünsche ich Ihnen alles Gute für die nächste Zeit und verbleibe mit den besten Grüßen an Sie und alle, die mich kennen und schätzen,
Ihr ergebener Dr. Samuel Hahnemann
Mélanie faltete den Brief zusammen und legte Samuel eine Hand auf den Arm. Dabei sah sie ihn lächelnd an. »Ich kann es immer noch kaum glauben – wir sind hier! Wir beide, zusammen, und wir werden die Welt
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