Harry Potter - Gesamtausgabe
was hinter dem Schnurrbart vor sich ging: ein erbitterter Kampf zwischen zwei der stärksten Antriebe Onkel Vernons. Wenn er Harry erlaubte zu gehen, würde er ihn glücklich machen, und dagegen hatte Onkel Vernon sich seit dreizehn Jahren gewehrt. Wenn Harry jedoch für den Rest der Ferien zu den Weasleys verschwand, war er ihn zwei Wochen früher los, als er gehofft hatte, und Onkel Vernon konnte es nicht ausstehen, wenn Harry im Haus war. Offenbar um sich ein wenig Zeit zum Nachdenken zu verschaffen, betrachtete er noch einmal Mrs Weasleys Brief.
»Wer ist diese Frau?«, fragte er und starrte voller Abscheu auf die Unterschrift.
»Du hast sie schon mal gesehen«, sagte Harry. »Sie ist die Mutter meines Freundes Ron, sie hat ihn zu Ferienbeginn vom Hog–, vom Schulzug abgeholt.«
Fast hätte er »Hogwarts-Express« gesagt und damit Onkel Vernon sicher zur Weißglut gereizt. Im Haus der Dursleys wurde der Name von Harrys Schule niemals laut ausgesprochen.
Onkel Vernon verzog sein riesiges Gesicht zu einer Grimasse, als ob er versuchte sich an etwas sehr Unangenehmes zu erinnern.
»So ein plumper Typ von Frau?«, knurrte er schließlich. »Und ’ne Menge Kinder mit roten Haaren?«
Harry runzelte die Stirn. Es war schon ein starkes Stück von Onkel Vernon, jemanden »plump« zu nennen, wo doch sein eigener Sohn Dudley es endlich geschafft hatte, womit er seit dem Alter von drei Jahren gedroht hatte, nämlich breiter als lang zu werden.
Onkel Vernon überflog abermals den Brief.
»Quidditch«, murmelte er in seinen Schnurrbart. »Quidditch – was ist das für ein Blödsinn?«
Harry spürte zum zweiten Mal einen Anflug von Ärger.
»Das ist eine Sportart«, sagte er knapp. »Wird auf Besen–«
»Schon gut, schon gut!«, rief Onkel Vernon. Harry sah mit einiger Befriedigung einen Anflug von Panik auf Onkel Vernons Gesicht. Offenbar würden seine Nerven dem Klang des Wortes »Besenstiele« in seinem Wohnzimmer nicht standhalten. Er flüchtete sich wieder in den Brief. Harry sah, wie seine Lippen die Worte »Ihre Antwort auf dem üblichen Wege schicken« formten. Sein Blick verfinsterte sich.
»Was heißt ›auf dem üblichen Wege‹?«, fauchte er.
»Üblich für uns«, sagte Harry, und bevor sein Onkel ihn aufhalten konnte, fügte er hinzu: »Du weißt ja, Eulenpost. Das ist so üblich unter Zauberern.«
Onkel Vernon sah so empört aus, als hätte Harry gerade ein abscheuliches Schimpfwort ausgesprochen. Zitternd vor Zorn warf er einen nervösen Blick durchs Fenster, als fürchtete er, einer der Nachbarn hätte das Ohr an die Scheibe gedrückt.
»Wie oft muss ich dir noch sagen, dass du diese Abartigkeit unter meinem Dach nicht erwähnen sollst?«, zischte er, das Gesicht von der Farbe einer reifen Pflaume. »Da stehst du, in den Kleidern, die Tante Petunia und ich in deine undankbaren Hände gelegt haben –«
»Erst nachdem Dudley sie abgetragen hatte«, sagte Harry kühl, und tatsächlich trug er ein Sweatshirt, bei dem er die Ärmel fünfmal zurückschlagen musste, um überhaupt seine Hände gebrauchen zu können, und das ihm bis über die Knie seiner sackbauchigen Jeans schlotterte.
»So sprichst du nicht mit mir!«, sagte Onkel Vernon bebend vor Wut.
Doch diesmal gab Harry nicht klein bei. Vorbei war die Zeit, da er gezwungen wurde, jede einzelne der bescheuerten Vorschriften der Dursleys zu befolgen. Er hielt sich nicht an Dudleys Diät, und er würde es nicht hinnehmen, dass Onkel Vernon ihm verbot, zur Quidditch-Weltmeisterschaft zu gehen, jedenfalls nicht, solange er sich wehren konnte.
Harry holte tief Luft, um sich zu beruhigen, dann sagte er: »Gut, ich darf nicht zur Weltmeisterschaft. Kann ich jetzt gehen? Ich muss noch meinen Brief an Sirius fertig schreiben. Du weißt ja – mein Pate.«
Er hatte es getan. Er hatte die magischen Worte ausgesprochen. Nun beobachtete er, wie das Purpurrot fleckweise aus Onkel Vernons Gesicht wich, so dass es aussah wie ein schlecht gemischtes Johannisbeereis.
»Du – du schreibst ihm, ja?«, sagte Onkel Vernon mit angestrengt ruhiger Stimme – doch Harry hatte bemerkt, wie sich die Pupillen seiner kleinen Augen in jäher Angst zusammenzogen.
»Jaah – sicher«, sagte Harry beiläufig. »Er hat schon lange nichts mehr von mir gehört, und, nun ja, wenn er ungeduldig wird, könnte er auf falsche Gedanken kommen.«
Er hielt inne, um die Wirkung seiner Worte zu genießen. Fast konnte er die Rädchen hinter Onkel Vernons dichtem, schwarzem, fein
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