Hawaii
würde. So flüsterte er nur seiner zierlichen Frau zu: »Es sieht so aus, als könnten viele über die Wellen gehen.«
Die fromme Amanda Whipple hörte diese seltsamen Worte und erfaßte ihren ganzen Sinn. Zuerst fürchtete sie sich, ihrem so wissenschaftlich interessierten Mann in die Augen zu sehen, denn manchmal vermochte sie nicht, seinen Gedanken zu folgen. Aber den tieferen Sinn dieses ketzerischen Ausspruchs konnte doch niemand übersehen, und sie dachte: Ein Mensch versteht nie einen andern. - Aber anstatt den jungen Arzt wegen seines abwegigen Gedankens zu schelten, sah sie ihn zum erstenmal prüfend an. Kühl, leidenschaftslos und behutsam betrachtete sie diesen seltsamen Vetter, der neben ihr in dem grellen Sonnenlicht Hawaiis stand. Als sie damit fertig war, liebte sie ihn mehr denn je. »Ich mag solche Worte nicht, John«, mahnte sie ihn.
»Ich mußte sie aussprechen«, antwortete er. »Tu das. Auch in Zukunft, aber nur vor mir«, flüsterte sie. Es wird sehr schwer sein, diese Inseln zu verstehen, dachte John. Und als er mit seiner Frau über das Meer blickte, sahen sie, wie die Nymphe Noelani der Schleier des Himmels - ihre Planke in das tiefe Meer zurückruderte, wo sich die großen Wellen bildeten. Sie kniete auf ihrem blanken Brett, beugte sich vor, so daß ihre Brüste fast das Brett berührten, und zog ihre langen Arme mit so kräftigen Bewegungen durch das Wasser, daß ihr kleines Fahrzeug schneller dahinjagte, als das Ruderboot der Missionare. Ihr Kurs brachte sie dicht an die THETIS, und als sie vorüberglitt, lächelte sie. Dann, als sie eine hohe Welle
ausgemacht und ihre Planke schnell in die richtige Position
gebracht hatte, erhob sie sich auf ein Knie. In dem
Missionarsboot flüsterte John Whipple zu seiner Frau: »Jetzt
wird sie über die Wellen gehen.« Und sie tat es.
Als die THETIS davonsegelte, hatten Abner und Jerusha, die sich nun schrecklich verlassen vorkamen, Gelegenheit, ihr neues Heim zu besichtigen, in dem sie während der nächsten Jahre ihr Leben fristen sollten. Die Eckpfeiler wurden von starken
Baumstämmen aus den Bergen gebildet. Die Seitenwände und das Dach waren aus Gras. Auf den Fußboden waren Kiesel gestreut und darüber eine Matte gebreitet worden, die mit einem Schilfbesen gefegt werden konnte. Die Fenster bestanden aus einfachen Öffnungen, über die Stoff aus China gespannt worden war. Es war eine niedrige, formlose Grashütte, die nur einen Raum hatte und weder Bett noch Stuhl noch Tisch oder Schrank enthielt. Aber sie hatte zwei Vorzüge: hinter dem Haus war unter der ausgedehnten Krone eines Hau-Baumes eine geräumige Lanai - eine abgeschlossene Laube -, wo sich das Leben der Mission abspielen sollte; und nach vorne hatte das Haus eine zweiteilige Tür, deren untere Hälfte geschlossen bleiben konnte, um die Leute draußen zu halten, während der obere Teil offenstand, um dennoch das Lächeln und die freundlichen Worte dieser Leute hereinzulassen.
In dieses Haus brachte Abner nun alles, was er aus NeuEngland mitgenommen hatte: ein wackliges Bett mit einem von Gurten bespannten Rahmen für die Matratze; verrostete Koffer, die als Schränke dienen mußten; einen kleinen Küchentisch, zwei Stühle und einen Schaukelstuhl. Wenn sie in den kommenden Jahren Kleider brauchten, waren sie auf die Mildtätigkeit der Christen in Neu-England angewiesen, die ihre abgetragenen Kleidungsstücke an das Missionszentrum in Honolulu schicken würden. Wenn also Jerusha ein neues Kleid haben mußte, um ihr altes zu ersetzen, dann würde ein Freund in Honululu die Überbleibsel durchstöbern und sagen: »Das könnte Schwester Jerusha passen«, aber es paßte nie. Wenn Abner eine neue Säge brauchte, um sich auch nur die primitivsten Voraussetzungen des Lebens zu schaffen, mußte er darauf hoffen, daß irgendein Christ ihm diese Säge schickte. Wenn Jerusha ihr Kind in eine Wiege legen wollte, war sie auf die Mildtätigkeit anderer Menschen angewiesen. Die Hales hatten kein Geld, kein Einkommen, keine andere Unterstützung als die, welche ihnen von dem Missionszentrum in Honululu gewährt wurde. Wenn das Fieber sie bis an den Rand des Todes brachte, konnten sie sich keine Arzneien kaufen, und sie mußten darauf vertrauen, daß irgend jemand ihr Kalomel, Brechwurz und Natron ergänzte.
Manchmal war Jerusha, wenn sie sich an ihr kühles, reinliches Elternhaus in Walpole mit seinen Schränken
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