Hawaii
Fürstin fest in die Augen: »Wenn Ihr in der Sünde verharrt, könnt Ihr Gott nicht erfassen.« Er legte eine dramatische Pause ein, brachte sein Gesicht dicht vor das ihre und versuchte, die große Entscheidung vorzubereiten, die unvermeidlich kommen mußte: »Malama, um sicher zu sein, daß Ihr Gott erfaßt, müßt Ihr Euch aller Sünden entledigen.«
»Ist es möglich, daß die Alii Nui sündig ist?« fragte Malama. Ihre Religion löste das Problem durch das Postulat, daß alle Handlungen der Alii Handlungen Gottes seien.
Aber sie mußte erfahren, daß in Abners neuer Religion die Antwort auf diese Frage auffallend von der gewohnten abwich. Mit erhobenem Zeigefinger sagte er: »Alle Menschen auf Erden sind gänzlich verderbt. Wir leben in der Sünde. Unsere Natur ist beschädigt in allen Teilen unseres Wesens.« Er hielt inne, fiel auf die Knie, um näher bei der Alii Nui zu sein, und fügte hinzu: »Weil Könige die größere Macht haben, sind auch ihre Sünden größer. Die Alii Nui ist die mächtigste Frau in Maui. Deshalb sind ihre Sünden größer. Malama!« rief er mit der jammernden, verzweifelten Stimme Johann Calvins. »Wir sind alle in Sünde verloren!«
In einer der umliegenden Hütten schrie ein Kind, und Malama fragte: »Ist dieses Baby auch mit Sünde angefüllt?« »Vom Augenblick an, da dieses Kind geboren wurde - nein, Malama, vom Augenblick an, da es empfangen wurde, ist es in Sünde getaucht. Es versank in der Todsünde, schrecklich, ewig, unausweichlich. Dieses Kind ist völlig verdorben.«
Malama dachte darüber nach und fragte behutsam: »Aber wenn dein Gott allmächtig ist...« Dann hielt sie inne, denn sie war bereit, Abners frühere Antwort hinzunehmen. Sie überlegte laut: »Gott hat die Sünde eingerichtet, um uns zu prüfen.«
Abner lächelte zum erstenmal. »Ja. Ihr habt verstanden.«
»Aber, Makua Hale, was wird mit diesem Baby geschehen, wenn es nicht aus der Sünde gerettet wird?«
»Es wird in das ewige Feuer geworfen.«
»Was wird mit mir geschehen, wenn ich nicht aus der Sünde errettet werde?«
»Ihr werdet in das ewige Feuer geworfen.« Stille herrschte in dem großen Raum, während Malama ihr Körpergewicht auf der Tapa-Decke verlagerte.
Sie drehte sich auf die rechte Seite, stützte ihr Gesicht in die Hand und gebot Abner, sich neben sie zu setzen.
»Wie ist das Feuer?« fragte sie ruhig.
»Es züngelt um Eure Füße, brennt Euch die Augäpfel aus. Es schlägt Euch in die Nase und lodert unentwegt. Aber Ihr werdet immer wieder ergänzt, damit Ihr ewig brennen könnt. Die Schmerzen sind entsetzlich und gehen über alle Vorstellung. Es... «
Malama unterbrach ihn und fragte schwach: »Einmal reiste ich mit Kamehameha an das Ende einer glühenden Lavazunge, und ich stand neben ihm, als er sein Haar opferte, um Pele zu besänftigen. Sind die Flammen schlimmer als das?«
»Malama, sie sind viel schlimmer.«
»Und all die guten Menschen von Hawaii, die starben, ehe du herkamst, Makua Hale? Leben sie in diesem ewigen Feuer?« »Sie starben in der Sünde, Malama. Sie leben jetzt in diesem Feuer.«
Die mächtige Frau keuchte. Sie zog ihren rechten Ellbogen fort und ließ den Kopf auf die Tapa-Decke fallen. Nach einer Weile fragte sie: »Mein guter Onkel Keawemauhili? Ist er im Feuer?«
»Ja, Malama, er ist im Feuer.«
»Für immer?«
»Für immer.«
»Und mein Gemahl Kamehameha?«
»Er ist für immer im Feuer.«
»Und wenn dieses Kind heute nacht stirbt?«
»Dann wird es ewig im Feuer leben.«
»Und mein Gemahl Kelolo, der schwört, daß er niemals deine Religion annehmen wird?«
»Er wird ewig im Feuer schmachten müssen.«
»Und ich werde ihn nie wieder sehen?«
»Nie.«
Malama wurde von der Unerbittlichkeit dieser Lehre ergriffen, und zum erstenmal ahnte sie die wahrlich furchtbare Macht des neuen Gottes. Nun wußte sie, warum diejenigen, die ihm folgten, siegreich im Kriege waren und Kanonen erfinden konnten, die ganze Eingeborenendörfer in Schutt und Trümmer legten. Sie brach in Tränen aus. »Auweh! Auweh!« jammerte sie und dachte an ihren guten Onkel und ihren großen König, die im ewigen Feuer schmachteten. Die Diener brachten ihr kühle Tücher, um sie zu beruhigen, aber sie schob sie beiseite und hörte nicht auf zu weinen und sich die mächtige Brust zu schlagen. Schließlich fragte sie: »Können diejenigen von uns, die noch leben, gerettet werden?«
Dies war die Frage, die Abner selber einmal große
Schwierigkeit bereitet hatte:
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