Hawaii
sind, sind sie auch alt genug«, und er blickte in die Meerenge hinaus, von der die Freudenschreie der Mädchen herüberwehten.
Abgestoßen von dieser Gleichgültigkeit rannte Jerusha zu einer alten Eingeborenen, die auf einem Stein saß und die vier Missionskleider bewachte, die die Mädchen dort liegen gelassen hatten. »Tante Mele«, bat Jerusha, »wie können wir diese Mädchen nur wieder zurückbekommen?«
»Einmal hört es auf. Wenn Schiff fort ist«, versicherte Tante Mele. »Wahine kommt zurück, immer dasselbe.«
Wütend griff Jerusha nach den beschmutzten Missionskleidern, als wollte sie diese mit nach Hause nehmen, fort von dem sündigen Strand. Aber Tante Mele hielt sie fest und sagte: »Hale Wahine! Wenn Wahine zurückkommt, muß ich die Kleider für sie haben.« Und da sie eine gute Freundin war, blieb sie auf dem Stein sitzen, hielt die Kleider der Mädchen und wartete geduldig bis die Zeit kam, da diese sie wieder brauchten, um an dem Missionsunterricht teilzunehmen.
Düstere Stimmung herrschte am Abend dieses Tages der Niederlage im Missionarshaus. »Ich kann die Mädchen nicht verstehen«, weinte Jerusha. »Wir geben ihnen unser Bestes. Vor allem Iliki weiß, was Gut und Böse ist. Und dennoch rennt sie zu dem Walfänger.«
»Ich habe die Sache bei Malama vorgebracht«, berichtete Abner zerknirscht, »und sie hat nur gesagt: >Das Mädchen ist keine Alii. Sie kann auf die Schiffe gehen, wenn sie Lust hat.< Dann fragte ich Malama: >Warum wart Ihr dann so böse, als die drei Matrosen versuchten, Noelani auf ihr Schiff zu schleppen?< und Malama antwortete: >Noelani ist eine Alii und kapu.< Als wäre damit alles gesagt.«
»Abner, mich schaudert bei dem Gedanken an das Böse, das in Lahaina gedeiht«, sagte Jerusha. »Als ich vom Strand zurückkehrte, wo niemand etwas unternehmen wollte, ging ich in die Stadt, um Hilfe zu suchen. Ich kam zu Murphys Kneipe und hörte Musik. Und das Gelächter von Mädchen. Ich wollte hineingehen, was auch geschehen mochte, aber ein Mann sagte: >Gehen Sie dort nicht hinein, Frau Hale. Die Mädchen haben keine Kleider an. Sie haben nie Kleider an, wenn Walfänger im Hafen liegen. < Abner! Was steht dieser Stadt bevor?«
»Mir erschien sie schon immer wie ein neues Sodom und Gomorra.«
»Was sollen wir nur tun?«
»Ich weiß noch nicht«, antwortete er. »Aber ich weiß«, sagte Jerusha fest.
Und noch an diesem Abend ging sie zu Malamas Palast
hinüber und erklärte in ihrem guten Hawaiisch:» Alii Nui, wir müssen den Mädchen verbieten, zu den Walfängern hinauszuschwimmen.«
»Warum?« fragte Malama. »Die Mädchen tun es, weil sie Lust dazu haben. Sie schaden niemand damit.«
»Aber Iliki ist ein gutes Mädchen«, beharrte Jerusha.
»Was ist ein gutes Mädchen?« fragte Malama.
»Ein Mädchen, das nicht zu den Schiffen hinausschwimmt«, antwortete Jerusha kurz.
»Ich glaube fast, ihr Missionare wollt uns allen Spaß verderben«, erwiderte Malama.
»Iliki findet keinen Spaß daran«, sagte Jerusha. »Sie findet nur den Tod.« Und Malama wußte, daß sie recht hatte.
»Aber sie ist immer zu den Schiffen hinausgeschwommen«, sagte sie traurig. »Iliki hat eine unsterbliche Seele«, beharrte Jerusha fest. »Genau wie Ihr und ich.«
»Willst du damit sagen, daß Iliki - Wahine Pupali - wie du und ich?«
»Ja, Malama. Genau wie Ihr und ich.«
»Das kann ich nicht glauben«, sagte Malama. »Sie ist immer zu den Schiffen geschwommen.«
»Es wäre Eure Aufgabe, sie daran zu hindern. Alle Mädchen daran zu hindern.«
Malama wollte an diesem Abend nichts mehr unternehmen; aber am nächsten Tag versammelte sie alle Alii, und Pastor Hale und seine Frau brachten ihre Argumente vor. Jerusha begann: »Man erkennt eine gute Stadt daran, wie sie ihre Säuglinge und jungen Mädchen schützt. Man erkennt einen guten Alii daran, wie er die Frauen behütet. Ihr seid keine guten Alii, wenn Ihr zulaßt, daß Eure Töchter zu den Schiffen hinausschwimmen. In London versuchen die guten Alii diese Dinge abzuschaffen. Auch in Boston.« Kelolo wies diese Behauptung zurück und
sagte: »Kekauikeaole segelte mit einem Walfänger. Er kam sowohl nach London wie nach Boston, und er hat uns oft berichtet, daß es da besondere Häuser gibt, die mit Mädchen gefüllt sind. Überall, wo er hinkam, gab es solche Häuser.«
»Aber die guten Alii in allen Städten versuchen, dieses Laster in Grenzen zu halten«, sagte Jerusha verbittert. Dann führte Abner den entscheidenden Hieb.
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