Hawaii
einen Mann aus Hiroschima.«
Reiko schnitt gerade in dem Friseurladen auf der Hotel-Street einem Matrosen die Haare, als die Neuigkeit sie erreichte. Das Mädchen neben ihr flüsterte ihr auf japanisch zu: »Gratuliere, liebe Reikochan!«
»Wozu?« fragte Reiko.
»Sakaisan hat einen Mann für dich gefunden.«
Der japanische Satz klang Reiko seltsam in den Ohren, denn obwohl sie seit langem ahnte, daß die Eltern einen Baischakunin beauftragt hatten, ihr einen Mann zu finden, hatte sie doch nie geglaubt, daß eine Verbindung zustande käme. Während sie sich in die Gewalt zu bringen versuchte, fragte sie beiläufig: »Wer soll doch gleich der Mann sein?«
»Ischii! Ich finde es wunderbar.«
Reikochan ließ ihre Finger mechanisch weiterarbeiten, und der Mann auf dem Stuhl warnte sie: »Nicht zuviel auf dieser Seite, Madam.«
»Entschuldigung«, sagte Reiko. Sie wollte aus dem Friseurladen rennen und sich vor allen verbergen, aber sie führte ihre Arbeit zu Ende. Geduldig stutzte sie das Haar des Matrosen. Dann seifte sie Nacken und Koteletten ein und fragte: »Möchten Sie es gerade oder lieber ein wenig schräg haben?«
»So wie es am besten aussieht«, sagte der junge Mann. »Sie sprechen gut Englisch. Besser als ich.«
»Ich ging zur Schule«, sagte Reiko leise. »Madam, fühlen Sie sich auch wohl?« fragte der Matrose. »Ja.«
»Sie sehen nicht wohl aus. Sehen Sie, Madam...«
Reiko war einer Ohnmacht nahe, aber mit ungeheurer Willensanstrengung brachte sie sich wieder in die Gewalt und seifte den Mann ein. Als sie dann aber das Rasiermesser halten wollte, brachte sie es nicht fertig. Entsetzt sah sie den beunruhigten Matrosen an und fragte sanft: »Ist es schlimm, wenn ich Ihnen diesmal nicht den Nacken ausrasiere? Mir ist ein
wenig schwindelig.«
»Madam, Sie sollten sich hinlegen«, sagte der Matrose und wischte sich den Schaum von der Backe.
Als er gegangen war, hängte Reiko ihre Schürze an den Nagel und verkündete: »Ich gehe nach Hause.« Auf dem langen Weg nach Kakaako versuchte sie, Ischii nicht mit Leutnant Jackson zu vergleichen. Aber sie vermochte nicht, das Bild des Leutnants zu verdrängen. Als sie sich dann dem Laden ihrer Familie näherte, stärkte sie sich mit dem tröstlichen Gedanken: Er ist ein verrückter kleiner Mann und mehr wie mein Vater denn wie mein Gemahl, aber er ist ein anständiger Japaner, und mein Vater wird glücklich sein. - Sie dachte nicht mehr an den abwesenden Rechtsanwalt aus Seattle, der ihr nicht einmal geschrieben hatte, ging in den Laden, trat vor ihren Vater und verneigte sich: »Ich danke dir, Vater.«
»Er ist ein Mann aus Hiroschima!« sagte Sakagawa.
Bei der Hochzeit im Februar 1944, die zu einem großen Ereignis in der japanischen Gemeinde wurde, sorgte der Baischakunin Sakai für alles. Er sagte der Familie, wo sie zu stehen, dem Priester, was er zu tun, und dem Bräutigam, wie er sich zu verhalten habe. Ischii hatte den ersten Teil des Nachmittags damit zugebracht, seinen Genossen aus der letzten Nummer der PRÄRIE SCHINBUN vorzulesen, die verkündete, daß die tapferen kaiserlichen Truppen die amerikanischen Marineeinheiten endlich aus Guadalcanar vertrieben hatten und nun zum Angriff auf Hawaii rüsteten. Einer der Gäste, der zwei Söhne in Italien hatte, flüsterte seiner Frau zu: »Ich glaube, der alte Mann ist verrückt.«
»Ssssch!« sagte seine Frau. »Er verheiratet sich.«
Als die Hochzeitsgesellschaft versammelt war, sah Reikochan in ihrem traditionellen japanischen Brautkleid zum erstenmal seit der Verlobung zu ihrem Bräutigam hinüber, und sie mußte sich eingestehen, daß er ein geschwätziger, verdrehter alter
Mann war. Ihre ganze amerikanische Erziehung drängte sie, diese heillose Feier zu fliehen. Große Übelkeit überfiel sie, und sie mußte zu einem Mädchen in der Nähe sagen: »Dieser Obi ist zu eng, ich muß ein wenig an die frische Luft.« Sie wollte schon davonlaufen, als der Baischakunin Sakai rief: »Wir beginnen!« und das komplizierte, liebliche japanische Hochzeitsfest nahm seinen Anfang.
Als es vorüber war, drängten sich die Frauen um Reikochan und sagten: »Du warst wundervoll in deinem Kimono. Eine richtige Braut. Mit geröteten Wangen und niedergeschlagenen Augen.« Andere sagten: »Es ist so schön, wenn man bedenkt, daß er ein Hiroschima-Mann ist.« Und das Gedränge wurde so unerträglich, daß sie schließlich sagte: »Dieser Obi ist wirklich zu eng. Ich muß an die frische Luft.«
Sie verließ das
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