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Hawaii

Hawaii

Titel: Hawaii Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James A. Michener
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eine solche Mauer zu erklettern. Wie hoch mag sie sein?«
    »Ungefähr zwölf Fuß.«
    »Das ist unmöglich«, antwortete Goro. »Wir müssen uns aufteilen. Ihr geht diesen Weg, wir diesen. Wir wollen sehen, ob nicht irgendwo ein Durchgang in der Mauer ist.«
    In der Dunkelheit fanden sie nichts. Nur die undurchdringliche, mörderische Steinwand, zwölf Fuß hoch und oben mit Glasscherben besetzt. Als sie sich wieder versammelten, sagte Goro in hartem Flüsterton: »Himmel, wie soll nur irgend jemand über dieses verdammte Ding kommen? Mit Maschinengewehren von allen Seiten? Sssssch.«
    Plötzlich begannen die deutschen Maschinengewehre zu hämmern, aber die Deutschen mußten von einer anderen Seite Geräusche gehört haben, denn das Feuer richtete sich nicht auf Goro und seinen Trupp. »Nun«, sagte er, als es vorüber war. »Hinüber mit uns.«
    Vorsichtig und geschickt halfen sich die Japaner in der Deckung der Nacht gegenseitig über die erbebende Mauer, und von ihr ließen sie sich langsam zu dem östlichen Rand des ausgetrockneten Flußbettes hinabgleiten. Das Flußbett war ungefähr fünfundzwanzig Meter breit und fünf Meter tief, und jeder Zentimeter davon lag im Schußbereich der deutschen Maschinengewehre. Die sechs Männer krochen auf ihren Bäuchen durch das trockene Flußbett und vertrauten ihrem Glück, daß kein Suchscheinwerfer aufleuchten würde. Die Männer schwitzten vor Angst in der kalten Nacht. Aber als sie die andere Seite des Rapido erreichten, erfuhren sie erst, was Furcht wirklich bedeutete, denn jetzt begannen Maschinengewehre und Scheinwerfer ihre Tätigkeit. Es gelang den jungen Japanern, sich in Bodenspalten unterhalb des westlichen Ufers zu verbergen. Worüber sie aber am meisten erschraken, war nicht das Stakkato der Maschinengewehre oder der suchende Finger der Scheinwerfer, sondern der grausame Charakter des westlichen Flußufers. Es erhob sich in einer Steilwand ungefähr sechzehn Fuß vom Boden des Flußbettes und wurde von einem doppelten Stacheldrahtverhau gekrönt, von dem man mit Bestimmtheit annehmen durfte, daß er mit Minen gespickt war, die im Abstand von jeweils einem halben Meter lagen.
    »Schreibst du alles auf?« flüsterte Goro seinem Bruder zu. »Denn wenn sie das sehen, wird kein General wagen, seine Männer über den Fluß zu schicken.« Ein vorübergleitender Scheinwerferstrahl beleuchtete das Gewirr des Stacheldrahts. »Hast du es?«fragte Goro. »Gut. Hebt mich hinauf. Ich werde mich durchschlagen.«
    Tadao ergriff die Hand seines älteren Bruders. »Ich habe genug skizziert«, warnte er.
    »Irgend jemand muß sehen, was dort auf der anderen Seite ist.« Seine Leute hoben ihn zu dem obersten Rand des westlichen Ufers hinauf, wo er fünfzehn gefahrvolle Minuten benötigte, um sich seinen Weg Zentimeter um Zentimeter durch den Stacheldrahtverhau zu bahnen. Er wußte, daß er jeden Augenblick mit einer Mine in die Luft fliegen konnte und damit nicht nur sich selber tötete, sondern auch seine Genossen dem sicheren Tod überantwortete. Er schwitzte nicht mehr. Die Angst war ihm vergangen. Er war zu jenem Zustand gelangt, den nur Soldaten bei Nacht oder in der Hitze eines mörderischen Gefechtes kennenlernen. Er war ein kurzgeschorener, stahlharter japanischer Junge aus Kakaako in Honolulu, und den Mut, den er in diesen gefahrvollen Minuten bewies, hätte niemand in Hawaii für möglich gehalten.
    Er durchdrang den Verhau, ließ kleine Stoffetzen an den Stacheln hängen, die ihn sicher zurückgeleiten sollten, und fand sich dann am östlichen Rand einer staubigen Straße wieder, die um den Fuß von Monte Cassino herumführte. Er warf sich in den Straßengraben und atmete tief, um wieder ein Mann zu werden und nicht zu einem nervösen Automaten herabzusinken. Als er dort mit nach oben gewandtem Gesicht lag, spielte ein Scheinwerferstrahl über die Gegend, vielleicht auf der Suche nach ihm. Aber er glitt weiter und bestrahlte plötzlich das Terrain, das sich über ihm erhob, und obwohl er es schon aus der Ferne gesehen hatte und seine Ausmaße kannte, stöhnte er bei diesem Anblick schmerzlich auf: »O mein Gott, nein!« Denn über ihm ragte eine uneinnehmbare Felsenhöhe in den Himmel empor, und auf seiner Spitze hing ein altes Mönchskloster. Dort, wo er lag, stellte sich Goro vor, wie von ihm und seinen Leuten erwartet wurde, daß sie all das, was sie heute nacht gesehen hatten, überwanden und daß, wenn sie diese Straße erreichten, in deren Graben er sich nun

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