Hawaii
halbwahnsinniger und abgerissener Soldaten an dem jungen Offizier vorüberzog, starrte er auf Goro Sakagawas mechanischen Gang und murmelte: »Da geht ein Amerikaner.«
6 Die goldenen Männer
1946, als Nyuk Tsin neunundneunzig Jahre alt war, entwickelte eine Gruppe von Soziologen auf Hawaii einen Begriff, der ihnen in seinen Umrissen schon lange vorgeschwebt hatte. In aller Stille kamen sie überein, daß auf Hawaii ein neuer Menschentyp im Entstehen begriffen sein mußte. Es war ein Mensch, der sowohl vom Westen wie vom Osten beeinflußt wurde, ein Mensch, der nicht nur in den Geschäftszentren New Yorks, sondern auch in den philosophischen Schulen Kyotos zu Hause war, ein Mensch, der zwar absolut modern und amerikanisch war, aber auch im Einklang mit Altem und Fernöstlichem stand. Der Name, den sie für ihn erfanden, war der des Goldenen Mannes.
Anfangs dachte ich irrtümlicherweise, dieser Name schriebe sich von der Tatsache her, daß die Vermischung mehrerer Rassen häufig einen Menschen hervorbrachte, der weder ganz weiß noch ganz gelb, noch ganz braun war, sondern irgend etwas dazwischen, und daß mit dem Namen Goldener Mann auf die Hautfarbe jenes neuen Menschen angespielt werden sollte, der aus der Mischung von Chinesen, Polynesiern und Weißen -die Japaner heirateten damals noch selten Angehörige anderer Rassen - hervorgegangen war. So ging ich durch die Straßen von Hawaii und suchte nach dem Goldenen Mann, von dem die Soziologen sprachen.
Aber dann erkannte ich, daß dieser glorreiche, hoffnungsvolle Mensch der Zukunft, dieser einzigartige Beitrag Hawaiis an die übrige Welt, in seiner Genese keineswegs auf Rassenmischung beruhte. Er war ein Produkt des Geistes. Er war eine Form des
Denkens und nicht der Herkunft; und eines Tages entdeckte ich - zu meiner Freude, wie ich gestehen muß -, daß ich seit einigen Jahren Grundtypen dieses Goldenen Mannes gekannt hatte, und wenn der Leser mir bis hierher gefolgt ist, kennt er ebenfalls drei dieser Männer und wird jetzt dem vierten begegnen. Bezeichnend ist, daß keiner dieser Menschen seine goldene Eigenschaft der Rassenmischung verdankte. Seine Aufgeschlossenheit für die Zukunft und seine seltene Gabe, sich im Zusammenstrom der Welt zu halten, verdankte er allein seinem Verständnis für das, was um ihn vorging. Ich kenne eine große Anzahl Goldener Männer aus der zweiten, nebensächlichen Kategorie: anständige chinesisch-hawaiische Mischlinge, ausgezeichnete Männer von portugiesischchinesischer Abstammung und begabte Söhne amerikanischhawaiischer Eltern. Aber die meisten von ihnen hatten kaum einen Begriff von dem, was in Hawaii oder auf der Welt vor sich ging. Die vier Männer dagegen, von denen ich nun sprechen will, hatten diese Einsicht, und mit dem Hinweis auf ihr Können möchte ich diese Geschichte Hawaiis schließen; denn sie sind wahrlich Goldene Männer.
1946, als der Krieg zu Ende war und Hawaii sich anschickte, verspätet in das zwanzigste Jahrhundert einzutreten, war Hoxworth Hale achtundvierzig Jahre alt. Eines Morgens, als keine Passatwinde wehten und die Luft unerträglich schwül war, betrachtete er sich beim Rasieren im Spiegel und mußte denken: In diesem Jahre stehe ich auf der Höhe meines Lebens. Ich habe noch fast alle Zähne und ziemlich dichtes Haar. Ich bin nicht allzu beleibt, und meine Augen sind noch gut genug, um Entferntes ohne Brille zu erkennen, wenn ich auch mit dem Sehen in der Nähe ein wenig Mühe habe und wohl bald einmal zum Augenarzt muß. Ich kann mich noch immer auf ein Problem konzentrieren, und ich freue mich darüber, die Wirtschaft der Inseln regeln zu können. Ich gehe gerne zur Arbeit - auch an einem Tag wie diesem. Er massierte sich das
Zwerchfell, um ins Schwitzen zu geraten, ehe er unter die Brause trat. Als er dann in dem heißen, stickigen Tag untertauchte, war er gezwungen, an die beiden Bereiche seines Lebens zu denken, in denen er nicht mehr so gut dastand wie in früheren Zeiten.
Zunächst einmal der nagende, nie zu stillende Schmerz, den ihm der Tod seines Sohnes Bromley gebracht hatte, der während der schweren Angriffe auf Tokyo tödlich verwundet worden war. Mehr als Siebzigtausend Menschen waren bei den Fliegerangriffen auf Japan ums Leben gekommen - und auch eine Stadt war in Trümmer gegangen. Bromleys Tod war nicht umsonst gewesen, und nach den Lufteinsätzen, die er geflogen hatte, war der Sieg Amerikas gewiß gewesen. Aber Bromley Hale war ein besonderer junger Mann gewesen.
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