Head over Heels - Band 1 (German Edition)
in der Hotellobby auch noch eine Brigade von Kellnern mit Tabletts voller Gläser mit Sekt und Fruchtsäften. Ich entscheide mich für Sekt – ein wenig Schwung und Optimismus kann ich gut gebrauchen.
Wie im Ferienlager, einem sehr noblen, muss ich gestehen, werden uns die Zimmer zugeteilt. Ich ergattere eines gemeinsam mit Naomi und folge dem steifen Burschen, der unsere Koffer zum Lift und dann den Gang in der vierten Etage entlangzieht. Wir verhalten uns wie Teenager, was sicher nicht nur dem Sekt zuzuschreiben ist. Es ist einfach die Kombination aus Abenteuer und natürlicher Scheu vor dem Unbekannten. Wie damals, ich weiß, ich schwelge in Erinnerungen, als wäre ich siebzig, doch nur so gelingt es mir, die Sache nüchtern zu betrachten.
Als wir unser Zimmer betreten, dem Jungen lässig Trinkgeld in die Hand drückend, als würden wir das jeden Tag machen, können wir uns vor Lachen kaum noch beherrschen. Ich falle aufs Bett, fasse mir an den Bauch und wische mir gleichzeitig die Tränen aus den Augenwinkeln. Naomi schlendert zum Fenster, zieht den braunen, mit einem seltsamen Wabenmuster bedruckten Vorhang zur Seite und plötzlich verstummen wir beide.
„Wow“, entschlüpft es mir.
Von unserem Zimmer aus hat man einen direkten Blick auf die steile Felsküste, an der sich die Wellen in weißen Bäuschchen brechen. Vereinzelt sind winzige Punkte, die ich als Menschen identifiziere, auszumachen, die sich dieses Spektakel aus der Nähe ansehen. Die weite Grünfläche ist vollkommen leer und der Gärtner oder der Landschaftsarchitekt hat die natürliche Rundung des Geländes beibehalten und das Gebäude gleichsam in den Stein einfließen lassen.
„Was zahlt er für diese krasse Scheiße?“, überlegt Naomi und plumpst neben mir aufs Bett.
Ich schüttle den Kopf und gemeinsam starren wir aus dem Fenster. Jetzt verstehe ich, warum Charles Bennet Schottland zu seiner Wahlheimat erkoren hat. Hier ist sein Ruhepol – kein Wunder. Selbst wenn die See stürmisch ist, breitet sich in mir eine tiefe Ruhe aus, die mich fast an Hypnose erinnert. Ich denke sogar einen verrückten Moment lang daran, wie es wäre, hier mit William zu leben. Wie es wäre, wenn wir uns ein Häuschen am Strand kaufen würden, abends zusammen an der Küste entlanggingen und jeden Morgen mit dieser Aussicht aufwachen – ich an seiner Brust, mit seiner anregenden Stimme in meinem Ohr. Eine traumhaft schöne Illusion, die mich den Kopf an Naomis Schulter legen lässt.
Naomi gähnt herzhaft und springt auf, um sich aus ihrer Jacke zu schälen. „Es hilft nichts. Macht es dir etwas aus, wenn ich zuerst unter die Dusche gehe?“
„Nein, kein Problem. Ich liege solange hier und lasse mich treiben.“
„Mach das, Süße.“
Schon hopst sie ins Badezimmer und während sie Adele zum Besten gibt, schließe ich die Augen. Der Gesang ist nicht gerade berauschend, um Gottes willen, man könnte glatt Anzeige wegen Körperverletzung erstatten, aber immerhin ist es Adele, na ja, was soll´s, doch im Moment ist dies mein sicherer Hafen und zum ersten Mal seit Tagen beginne ich mich zu entspannen. Auch wenn bald angesichts des bevorstehenden Abends nicht mehr viel davon übrig bleiben wird. In den nächsten Stunden werde ich mich förmlich an William gekettet fühlen. In seinem Elternhaus, im Beisein seiner Familie – schluck.
Um halb sieben dränge ich mich in meinem weißen Spitzenkleid eines bekannten Designers, welches ich im Internet zu einem fast lächerlichen Preis erstanden habe, in den Bus. Was wir am Nachmittag so erfolgreich hinter uns gebracht haben, liegt nun wieder vor uns. Von North Berwick geht es zurück nach Dunbar, wo sich die herrschaftliche Residenz befindet. Naomi sitzt neben mir und blickt, wie fast jeder, mit offenem Mund zu dem Haus, auf welches wir pünktlich um sieben zusteuern. Die Umrisse sind schon von weitem zu erkennen, was weniger der Farbe als der cleveren Beleuchtung zu verdanken ist. Hatte ich mir den Weg zum Haus als schlichte Auffahrt vorgestellt, so finden wir uns nun in einer Sackgasse wieder, die in einer breiten, in Stein gehauenen Treppe endet. Alles ist riesig – das ist das Einzige, was ich im Moment denken kann.
Typisch schottisch, typisch viktorianisch, typisch verträumt. Eine Filmkulisse hätte nicht schöner sein können.
Langsam schreite ich auf das dunkelgrüne Eingangstor zu, das sich just in dem Augenblick, als der Erste in der Reihe davorsteht, öffnet. Charles Bennet höchstpersönlich
Weitere Kostenlose Bücher