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Hebamme von Sylt

Hebamme von Sylt

Titel: Hebamme von Sylt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: G Pauly
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Auch dann, wenn er dem heimlichen Liebespaar auf die Spur kommen sollte. »Der wird nichts sagen, wenn er weiß, was ich von Eugen erfahren habe.«
    Hatte sie nicht gewusst, dass Ebbo ihrem Angebot nicht widerstehen konnte? Und auch die Comtesse würde sie wieder wie eine Freundin behandeln, wenn sie hörte, was sie für ihre Liebe zu tun bereit war.
    »Nur noch ein einziges Mal«, flüsterte Ebbo. »Ich muss noch einmal mit ihr reden. Ich will mich von ihr verabschieden. Diese plötzliche Verlobung … das ging viel zu schnell. Ich will aus ihrem eigenen Munde hören, was zwischen ihr und dem Fürsten vorgefallen ist.«
    »Ich werde mit der Comtesse reden.« Hanna ging auf die Tür zu, hinter der Freda auf ihre Kinder wartete. Sie griff nach der Klinke, drückte sie aber nicht herab, sondern drehte sich zu Ebbo herum. »Ich habe zufällig gehört, dass der Fürst bereit ist, dich als Stallburschen einzustellen. Wenn du zustimmst, brauchst du an Abschied noch nicht zu denken.«
    Ehe Ebbo etwas erwidern konnte, wurde die Tür von innen aufgerissen. Freda stand vor ihnen und starrte Ebbo aus weit aufgerissenen Augen an. »Nein, Ebbo! Das darfst du nicht tun. Du musst auf Sylt bleiben. Du machst dich unglücklich. Und Hanna und mich gleich mit!«
    Ebbo blickte in ihr Gesicht, sah den Kummer, die Sorgen, die Verzweiflung und die Angst, die sich wie zersprungenes Glasüber ihre Züge gelegt hatte, dann zog er sie in seine Arme. Hanna hörte, wie er an Fredas Ohr murmelte: »Ich werde euch nie alleinlassen, Mutter.«
     
    Dr. Nissen kleidete sich an diesem Morgen besonders sorgfältig an. Zu einem knielangen braunen Gehrock wählte er eine helle Hose und eine weiße Weste. Das braune Seidentuch, dass er sich umlegte, passte farblich genau zu dem Gehrock, und der Hut, den er vom Haken nahm, war nur eine Nuance dunkler. Die Kleidung eines erfolgreichen, vermögenden Mannes! Nur kurz ließ er sich auf die Erinnerung an den Tag ein, an dem er diese Kombination beim besten Schneider Hamburgs bestellt hatte.
    Das Frühstück, das Freda für ihn zubereitet hatte, war ihm nicht bekommen, obwohl es genauso geschmeckt hatte wie in den Tagen, in denen Geesche in der Küche hantiert hatte. Seine Laune hatte sich zwar geringfügig gebessert, seit er in dem Buch geblättert hatte, in dem Geesche die Geburten dokumentierte, aber der Weg, den er heute gehen musste, fiel ihm trotzdem schwer. Und das, obwohl es eigentlich ein Glücksfall war, dass er sich ihm eröffnet hatte. Dieses Durcheinander von Enttäuschung, Hoffnung, Angst und Erleichterung rumorte in ihm wie eine schwer verdauliche Mahlzeit. Wie kläglich, dass er zu diesen Mitteln gezwungen war! Ein Mann wie er sollte nicht in diese Verlegenheit kommen! Was das Schicksal mit ihm machte, war nicht gerecht. Unterlief nicht jedem Menschen mal ein Fehler? Durfte es statthaft sein, dass ausgerechnet er in einer Form dafür büßen musste, die jeder Verhältnismäßigkeit widersprach? Nun wurde er sogar gezwungen, sich an den Rand der Gesellschaft zu stellen, in deren Mittelpunkt er sich seit langem am rechten Platz fühlte. Dass er als geschiedener Mann nicht auf eine Einladung der Königin hoffen durfte, war zu verschmerzen, doch was ihm nun bevorstand, war wirklich unter seiner Würde. Aber wassollte er machen? Professor Johannsen, sein ehemaliger Schwiegervater, hatte ihm alles genommen. Und er, Leonard Nissen, musste nun sehen, dass er Mittel und Wege fand, sich seinen Platz zurückzuerobern. Natürlich konnte er froh sein, sie gefunden zu haben, diese Mittel und Wege, aber zuwider blieben sie ihm dennoch.
    Er warf einen Blick ins Gebärzimmer, wo Fenna schlief, ihr Neugeborenes an der Brust. Dr. Nissen musste sich gewaltsam von diesem friedlichen Bild losreißen, das so gar nicht zu seinem inneren Bild passte, das düster und von Blitzen durchzuckt war, die sich Hoffnung nennen wollten und doch Verzweiflung heißen würden.
    Freda trat hinter ihn und lugte ihm über die Schulter. »Wie lange soll sie hier bleiben?«
    Dr. Nissen zuckte die Schultern. »Die Frage ist: Wohin soll sie gehen?«
    »Geesche lässt Mutter und Kind stets am Tag nach der Geburt abholen.«
    »Diese Frau wird niemand abholen.«
    Fredas Gesicht verhärtete sich plötzlich. Das Leid verschwand aus ihren Zügen, das Fromme, Demütige gleich mit. Dr. Nissen hatte noch nie diesen kämpferischen Ausdruck in ihrer Miene gesehen. »Das hätte sie sich überlegen sollen, bevor sie sich von einem Strandräuber ein Kind

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