Heiliger Zorn
meiden würde.«
Ich blendete den Schwall familiärer Gefühle aus, die mich auf der Tochter des Haiduci überschwemmt hatten. Entließ einen gepressten Atemzug.
»Wo wird er also nach Ihnen suchen?«
Ich deutete mit einem Nicken auf das Modell von Millsport vor uns, das auf den dicht gedrängten Inseln und Plattformen kauerte. »Ich glaube, er dürfte genau dort nach mir suchen. Dorthin bin ich jedes Mal gegangen, wenn ich zurückgekommen bin. Es ist die größte urbane Ansiedlung auf dem Planeten, und dort kann man am leichtesten untertauchen, wenn man sich auskennt, und sie liegt Rila auf der anderen Seite der Bucht genau gegenüber. Wenn ich ein Envoy wäre, würde ich mich dort aufhalten. Versteckt und nahe genug dran, um zuschlagen zu können.«
Einen Moment lang ließ mich die ungewohnte Vogelperspektive schwindeln, als ich auf die Küstenlinien und die Straßen hinabblickte, als meine unfokussierten Erinnerungen aus unzusammenhängenden Jahrhunderten das Alte und das Neue zu einer verschmierten Vertrautheit verwischten.
Und er ist irgendwo da unten.
Hör auf, du kannst dir nicht sicher sein, ob…
Er ist irgendwo da unten, wie ein Antikörper, perfekt an die Gestalt des Eindringlings angepasst, nach dem er sucht. Er stellt leise Fragen im Fluss des Stadtlebens, besticht, bedroht, setzt Hebel an, bricht auf, all die Techniken, in denen wir so hervorragend ausgebildet wurden. Er atmet tief, während er seine eigenen dunklen Begierden auslebt, wie eine umgekehrte Version der Lebensphilosophie von Jack Soul Brasil.
Plex’ Worte rieselten wieder in mein Bewusstsein.
Er besitzt eine starke Energie, es fühlt sich an, als könnte er es gar nicht abwarten, Dinge zu erledigen, endlich loszulegen. Er ist selbstbewusst, er hat vor nichts Angst, nichts ist ein Problem. Er lacht über alles…
Ich verfolgte die Kette meiner eigenen Assoziationen des vergangenen Jahres zurück, dachte an die Menschen, die ich in Gefahr gebracht haben könnte.
Todor Murakami, falls er immer noch arbeitslos herumhing. Konnte mein jüngeres Ich ihn kennen? Murakami war dem Corps fast zur gleichen Zeit wie ich beigetreten, aber in diesen frühen Tagen hatten wir uns kaum gesehen, waren nie gemeinsam im Einsatz gewesen, bis Nkrumahs Land und Innenin. Würde Aiuras Schoßhund Kovacs die Verbindung herstellen? Wäre er in der Lage, Murakami erfolgreich zu benutzen? Würde Aiura überhaupt zulassen, dass ihre doppelt gesleevte Kreation in die Nähe eines Envoy im Dienst kam? Würde sie es wagen?
Wahrscheinlich nicht. Und Murakami, der die gesamte Macht des Corps hinter sich hatte, konnte gut auf sich selbst aufpassen.
Isa.
Ach du Scheiße.
Die fünfzehnjährige Isa, in der titanharten Rüstung einer Frau von Welt über der verweichlichten und privilegierten Kindheit in dem, was noch von der Mittelklasse von Millsport übrig war. Von schneidend scharfer Intelligenz, aber gleichzeitig genauso zerbrechlich wie eine Als-ob-Ausgabe der kleinen Mito, kurz bevor ich zu den Envoys gegangen war. Wenn er Isa fand…
Entspann dich, du bist gedeckt. Der einzige Ort, den sie dir zuordnen können, ist Tekitomura. Wenn sie Isa haben, haben sie gar nichts.
Aber…
So lange brauchte ich, die Dauer eines Herzschlags, um Sorge zu empfinden. Das Wissen um die Lücke war wie ein kalter Ekel, der in mir aufstieg.
Aber er wird sie zerreißen, wenn sie ihm in die Quere kommt. Er wird sie wie mit Engelsfeuer vernichten.
Wird er das? Wenn sie dich an Mito erinnert, wird es ihm dann nicht genauso ergehen? Ist sie nicht für euch beide dieselbe Schwester? Wird ihn das nicht aufhalten?
Nicht wahr?
Ich warf meinen Geist zurück in die trüben Einsatztage beim Corps und wusste es nicht.
»Kovacs!«
Es war eine Stimme aus dem Himmel. Ich schaute blinzelnd von den modellierten Straßen von Millsport auf. Über unseren Köpfen hing Brasil in der Luft der Virtualität, gekleidet in grelle orangefarbene Surfershorts und niedrig hängende Wolkenfetzen. Mit seiner Statur und dem langen blonden Haar, das in stratosphärischen Luftströmungen wehte, sah er wie ein verrufener kleinerer Gott aus. Ich hob die Hand zum Gruß.
»Jack, du musst herkommen und dir den Weg von Norden ansehen. So werden wir nicht…«
»Dafür habe ich keine Zeit, Tak. Du musst aussteigen. Sofort.«
Ich spürte einen Druck auf dem Brustkorb. »Was ist los?«
»Wir haben Gesellschaft bekommen«, sagte er kryptisch und verschwand in einem weißen Lichtwirbel.
Das Büro von
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