Heiliger Zorn
Bruderschaft. Die Brüder schließen die Schwestern in die Arme, wie es scheint.« Ein Teenager-Achselzucken. »Bin mir nicht sicher, was die Schwestern von dieser Umarmung halten, aber so sind nun mal die Zugangsvoraussetzungen.«
»Apropos«, sagte Mari Ado. »Ist uns der Zugang erlaubt?«
»Ja, sie empfangen Besucher. Es mag sein, dass ihr auf Natsume warten müsst, aber davon dürftet ihr kaum etwas merken. Das ist das Tolle an der Entsagung von allem Fleisch.« Isa grinste wieder. »Man muss sich keine Sorgen wegen kleiner Unannehmlichkeiten wie Zeit und Raum mehr machen.«
»Gute Arbeit, Issy.«
Sie hauchte mir einen Kuss zu.
Aber als wir uns zum Gehen wandten, runzelte sie die Stirn und schien zu einer Entscheidung zu gelangen. Sie hob die Hand und winkte uns näher heran.
»Hört zu, ihr beiden. Ich weiß nicht genau, was ihr auf dem Rila-Felsen vorhabt, und um ehrlich zu sein, ich will es auch gar nicht wissen. Aber diese Information gebe ich euch gebührenfrei dazu. Der alte Harlan kommt diesmal nicht aus seiner Kapsel.«
»Nein?« Das war ungewöhnlich. Bisher hatte er es fast an jedem Geburtstag getan.
»Nein. Halb geheimer Hoftratsch, den ich gestern aufgeschnappt habe. Drüben auf Amami Sands haben sie einen weiteren Erben verloren. Mit einem Ladehaken zu Tode gehackt, wie es scheint. Es wurde nicht publik gemacht, aber die Polizei ist derzeit etwas nachlässig mit ihrer Verschlüsselung. Ich hatte nach Zeug im Zusammenhang mit den Harlans gesucht. Hab es aus dem Datenfluss gefischt. Nach diesem Vorfall und nachdem der alte Seichi letzte Woche in seinem Skimmer geröstet wurde, wollen sie kein Risiko mehr eingehen. Sie haben die Hälfte aller Familienauftritte abgesagt, und wie es aussieht, kriegt sogar Mitzi Harlan ein verdoppeltes Geheimdienstkommando. Und der alte Harlan bleibt ungesleevt. Das ist definitiv. Ich glaube, sie wollen es so machen, dass er die Feierlichkeiten über einen virtuellen Link beobachten kann.«
Ich nickte langsam. »Danke. Das ist gut zu wissen.«
»Tja, tut mir Leid, falls dadurch möglicherweise euer spektakulärer Attentatsplan ins Wasser fällt. Du hast nicht danach gefragt, also wollte ich auch nichts dazu sagen, aber es wäre doch schade, wenn ihr euch so viel Mühe macht und dann feststellt, dass niemand da ist, den ihr umbringen könnt.«
Ado lächelte andeutungsweise.
»Deswegen sind wir nicht hier«, sagte ich schnell. »Aber trotzdem danke. Hör zu, Isa, erinnerst du dich zufällig, dass vor ein paar Wochen ein anderer Schmalspur-Harlan im Hafenviertel zu Tode gekommen ist?«
»Ja. Marek Harlan-Tsuchiya. War voll auf Meth, stürzte vom Karlovy-Dock, schlug sich den Kopf auf und ertrank. Herzzerreißend.«
Ado gestikulierte ungeduldig. Ich hob beschwichtigend die Hand.
»Irgendein Hinweis, dass jemand nachgeholfen hat? Was meinst du?«
Isa verzog das Gesicht. »Ich meine, es könnte durchaus sein. Im Dunkeln ist das Karlovy-Dock nicht unbedingt der sicherste Ort. Aber sie dürften ihn inzwischen resleevt haben, und nirgendwo wird etwas von einem Mord gemunkelt. Andererseits…«
»Richtig. Warum sollte man die Öffentlichkeit damit behelligen?« Ich spürte, wie meine Envoy-Intuition zuckte, aber es war zu schwach, um etwas damit anfangen zu können. »Okay, Isa. Danke für den Nachrichtenüberblick. Es hat keinen unmittelbaren Einfluss auf das, was wir machen, aber halte trotzdem die Ohren offen, ja?«
»Mach ich doch immer, sam.«
Wir bezahlten die Rechnung und ließen sie in der Bar zurück, mit rot geäderten Augen und Harlekinmaske und dem Gitter aus Licht, das an ihrem Ellbogen wehte wie ein domestizierter Dämon. Sie winkte, als ich zurückschaute, und ich spürte einen kurzen Stich der Zuneigung, der mich noch bis auf die Straße hinaus verfolgte.
»Blöde kleine Zicke«, sagte Mari Ado, als wir uns auf den Weg in Richtung Hafen machten. »Ich hasse dieses beschissene Unterklassen-Getue.«
Ich zuckte die Achseln. »Rebellion kann viele unterschiedliche Formen annehmen.«
»Ja, aber so etwas gehört nicht dazu.«
Wir nahmen eine Fähre mit Echtkiel über den Reach zum Plattform-Stadtviertel, das Ost-Akan genannt wurde, offenbar in der Hoffnung, dass sich Leute, die sich die Hänge des Akan-Bezirks nicht leisten konnten, stattdessen dort ansiedelten. Ado zog los, um irgendwo Tee zu trinken, und ich blieb an der Reling stehen, beobachtete den Wasserverkehr und die sich verschiebende Perspektive. Millsport hatte einen besonderen Zauber, den
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