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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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genauso wie alle anderen Personen, die den Fehler begingen, ihr zu Hilfe kommen zu wollen. Sie haben sich auf den falschen Punkt konzentriert. Und nun bleiben Ihnen weniger als dreißig Minuten, um Sylvie Oshima unbeschadet an mich auszuliefern. Danach habe ich keinen Einfluss mehr auf die weitere Entwicklung. Töten Sie uns, nehmen Sie uns gefangen. Es würde keine Rolle spielen. Nichts, was Sie unternehmen, würde etwas bewirken. Mitzi Harlan würde unter großen Schmerzen sterben.«
    Der Moment stand auf der Kippe. Ich stand auf der Brüstung, wo es kühl und still war und ich schwach den Mahlstrom hören konnte. Es war ein solider, sorgfältig ausgearbeiteter Plan, aber das bedeutete nicht, dass er mich davor bewahrte, getötet zu werden. Ich fragte mich, was geschah, wenn mich jemand von der Brüstung schoss. Wenn ich tot war, bevor ich unten aufschlug.
    »Scheiße.« Es war ich. Er trat auf die Mauerkrone zu, und in seinem Auftreten lag beherrschte Gewalttätigkeit. »Du bluffst. Es gibt keine Möglichkeit, wie du…«
    Als ich ihm in die Augen blickte, verstummte er. Ich fühlte mit ihm – ich empfand die gleiche erstarrende Ungläubigkeit, als ich in seine Augen sah und zum ersten Mal wirklich verstand, wer sich dahinter befand. Es war nicht das erste Mal, dass ich doppelt gesleevt worden war, aber damals war es eine exakte Kopie von mir gewesen und kein fernes Echo aus einer ganz anderen Phase meines Lebens. Nicht so ein Geist.
    »Meinst du wirklich?«, sagte ich und gestikulierte. »Du vergisst, dass es in meinem Leben über hundert Jahre gibt, die du nie gelebt hast. Aber darum geht es hier gar nicht. Wir reden hier nicht über mich. Hier geht es um eine Einheit von Quellisten, die drei Jahrhunderte Groll hinunterschlucken mussten, und zwischen ihnen und ihrer verehrten Anführerin steht nun eine nutzlose Aristo-Schlampe. Sie wissen, wovon ich rede, Aiura-san, auch wenn mein idiotisches Jugend-Ich es nicht weiß. Diese Leute werden tun, was sie tun müssen. Was ich tue oder sage, wird nichts daran ändern, es sei denn, Sie liefern Sylvie Oshima an mich aus.«
    Aiura murmelte meinem jüngeren Ich etwas zu. Dann zog sie ein Telefon aus der Jacke und blickte zu mir hoch.
    »Sie werden es mir sicherlich nachsehen«, sagte sie höflich, »wenn ich mich nicht allein auf Ihr Wort verlasse.«
    Ich nickte. »Bitte lassen Sie sich alles bestätigen. Aber es wäre ratsam, sich dafür nicht allzu viel Zeit zu nehmen.«
    Es dauerte nicht lange, bis die Sicherheitsbeauftragte die Antworten erhalten hatte, die sie brauchte. Sie hatte kaum zwei Worte ins Telefon gesprochen, als ihr ein Sturzbach aus panischem Gebrabbel entgegenschlug. Auch ohne Neurachem konnte ich die Stimme am anderen Ende hören. Ihre Miene wurde hart. Sie gab ein paar knappe Befehle auf Japanisch, schaltete den Lautsprecher aus, unterbrach die Verbindung und steckte das Telefon wieder in die Jacke.
    »Wie haben Sie sich die Abreise von hier vorgestellt?«, fragte sie mich.
    »Ach, wir würden einen Helikopter benötigen. Mir ist bekannt, dass Sie hier etwa ein halbes Dutzend Maschinen haben. Nichts Großartiges und nur ein Pilot. Wenn er sich benimmt, schicken wir ihn unversehrt zu Ihnen zurück.«
    »Nur wenn du nicht von einem nervösen Orbital vom Himmel geschossen wirst«, tönte Kovacs. »Heute ist nicht unbedingt ein guter Abend zum Fliegen.«
    Ich starrte ihn mit offensichtlichem Abscheu an. »Ich gehe das Risiko ein. Es wäre keineswegs das Dümmste, was ich je getan habe.«
    »Und Mitzi Harlan?« Die Sicherheitsbeauftragte beobachtete mich jetzt mit dem Blick eines Raubtiers. »Welche Garantie können Sie für ihre Sicherheit geben?«
    Brasil rührte sich neben mir, zum ersten Mal seit Beginn der Auseinandersetzung.
    »Wir sind keine Mörder.«
    »Nein?« Aiura richtete den Blick auf ihn wie eine audioreaktive Wachkanone. »Dann muss es sich hier um eine ganz neue Version des Quellismus handeln, die mir bislang nicht bekannt war.«
    Ich glaubte, zum ersten Mal etwas in Brasils Stimme brechen zu hören. »Scheißbulle! Sie haben das Blut von Generationen an den Händen und wollen den moralischen Zeigefinger gegen uns erheben? Die Ersten Familien haben…«
    »Ich denke, wir werden diese Diskussion ein andermal führen«, sagte ich laut. »Aiura-san, Ihre dreißig Minuten schrumpfen dahin. Die Quellisten würden sich sehr unbeliebt machen, wenn sie Mitzi Harlan abschlachten, und ich glaube, Sie wissen, dass sie so etwas nach Möglichkeit

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