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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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Reling.
    Eine ganze Weile war nur das Dröhnen des Mahlstroms und das Plätschern der Wellen am Rumpf genau unter mir zu hören. Ich reckte den Kopf und starrte. Der Himmel blieb hartnäckig leer.
    »Hab dich erwischt, du Scheißkerl«, flüsterte ich zu ihm hinauf.
    Die Erinnerung setzte wieder ein. Ich richtete mich auf und rannte zu Isa und Sierra Tres hinüber, die in schwappenden Pfützen aus Blut lagen, das vom Sprühnebel verdünnt wurde. Tres hatte sich an der Wand des Schönwetter-Cockpits hochgezogen und war dabei, sich eine Aderpresse aus Fetzen ihrer blutgetränkten Kleidung anzulegen. Sie knirschte mit den Zähnen, als sie sie festzurrte – nur ein einziger schmerzhafter Grunzer entfuhr ihr. Sie sah mich und nickte, dann deutete sie mit einer Seitwärtsbewegung des Kopfes zu Brasil hinüber, der neben Isa hockte und mit den Händen hektisch den Körper des Teenagers bearbeitete. Ich ging zu ihnen und schaute ihm über die Schulter.
    Sechs oder sieben Kugeln schienen sie erwischt zu haben, sie waren durch den Bauch und die Beine gegangen. Unter dem Brustkorb sah es aus, als wäre sie von einem Sumpfpanther angefallen worden. Ihr Gesicht hatte sich beruhigt, und der keuchende Atem ging nun langsamer. Brasil blickte zu mir auf und schüttelte den Kopf.
    »Isa?« Ich ging neben ihr im Blut in die Knie. »Isa, rede mit mir.«
    »Kovacs?« Sie versuchte den Kopf in meine Richtung zu drehen, aber er bewegte sich kaum. Ich beugte mich tiefer herunter, bis mein Gesicht ihrem ganz nahe war.
    »Ich bin hier, Isa.«
    »Es tut mir Leid, Kovacs«, stöhnte sie. Ihre Stimme war die eines kleinen Mädchens, kaum mehr als ein helles Flüstern. »Ich hab nicht nachgedacht.«
    Ich schluckte. »Isa…«
    »Es tut mir…«
    Abrupt hörte sie auf zu atmen.

 
34
     
     
    Im Herzen der labyrinthartigen Gruppe von Inselchen und Riffen, die den ironischen Namen Eltevedtem tragen, stand einst ein über zwei Kilometer hoher Turm. Die Marsianer hatten sein Fundament direkt auf dem Meeresgrund gelegt, aus Gründen, die nur ihnen selbst bekannt waren, und vor einer knappen halben Million Jahre war der Turm aus genauso unerklärlichen Gründen in den Ozean gestürzt. Der größte Teil der Trümmer lag über den Meeresboden in der Umgebung verstreut, aber stellenweise fand man immer noch massive, zerbrochene Stücke auf dem Trockenen. Mit der Zeit waren die Ruinen zu einem Teil der Landschaft der Inseln oder Riffs geworden, auf die sie niedergekracht waren, aber selbst diese unterschwelligen Spuren hatten dafür gesorgt, dass Eltevedtem größtenteils unbesiedelt geblieben war. Die Fischerdörfer am nördlichen Arm des Millsport-Archipels, mehrere Dutzend Kilometer entfernt, waren die nächsten menschlichen Ansiedlungen. Millsport selbst lag über hundert Kilometer weiter südlich. Und Eltevedtem (»ich habe mich verirrt« in einem magyarischen Dialekt der Vor-Siedlerzeit) hätte eine komplette Flotte von Schiffen mit geringem Tiefgang verschlucken können, wenn besagte Flotte sich nicht wiederfinden lassen wollte. Es gab schmale, mit Vegetation überwachsene Kanäle zwischen steilen Felsen, die hoch genug waren, dass sich die Boubin bis zu den Mastspitzen darin verbergen konnte, Meereshöhlen zwischen Landspitzen, deren Eingänge unsichtbar waren, bis man ganz nahe herankam, oder gewölbte Brocken marsianischer Turmtrümmer, die von hängenden Pflanzen überwuchert waren.
    Es war ein guter Ort, um sich zu verstecken.
    Zumindest vor Verfolgern, die von außen kamen.
    Ich beugte mich über die Reling der Boubin und blickte hinunter ins klare Wasser. Fünf Meter unter der Oberfläche beschnupperte eine bunt gefärbte Mischung aus einheimischen und kolonialen Fischen den weißen Sprühbetonsarg, in dem wir Isa bestattet hatten. Ich hatte die vage Idee, ihre Familie aufzusuchen, sobald wir in Sicherheit waren, um ihr mitzuteilen, wo sie war, aber es schien eine sinnlose Geste zu sein. Wenn ein Sleeve tot war, war er tot. Und Isas Eltern hätten nicht weniger Kummer, wenn ein Bergungsteam den Sarkophag öffnete und feststellte, dass jemand den Stack aus ihrer Wirbelsäule geschnitten hatte.
    Er lag jetzt in meiner Tasche – Isas Seele, in Ermangelung einer besseren Beschreibung. Und ich hatte das Gefühl, dass sich etwas in mir änderte, als ich das einsame Gewicht zwischen meinen Fingern spürte. Ich wusste nicht, was ich damit machen würde, aber ich wagte es auch nicht, den Stack zurückzulassen, damit jemand anderer ihn fand. Isa war

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