Heiss wie der Sommer
bloß nicht gedacht, dass er sich dazu herablassen würde, Holz zu schleppen, da er ja seinen Lastwagenführerschein hat und so …“
Sich herablassen?
, dachte Doreen, griff nach dem Wagenschlüssel und ihrer Handtasche, um sich dann so schnell und zugleich so unauffällig wie möglich zur Tür zu begeben.
Wie sollte es für Roy Fifer III. möglich sein, noch tiefer zu sinken?
„Willst du weg?“, fragte Stella in einem Tonfall, als wären sie beide die besten Freundinnen. Als hätte sie Doreen nie wie eine Hure behandelt, die es gewagt hatte, die heiligen Hallen der Fifers zu betreten.
Und als hätte sie Davie nicht Tag für Tag als Freak bezeichnet, weil er tätowiert und gepierct war und weil er sich so seltsam kleidete.
Aber Davie war jetzt in guten Händen. Um ihn musste Doreen sich keine Sorgen machen.
Die Creeds waren gute Leute, zumindest diese neue Generation.
„Ich kann im Kasino ein paar Überstunden machen“, erklärte Doreen mit gespielter Begeisterung. „Die sind heute unterbesetzt, außerdem findet ein Turnier statt. Das bedeutet mehr Gäste als üblich.“
Doreen legte eine Hand auf den Türgriff.
In dem Zimmer, das sie nie wieder betreten würde, wenn es einen gerechten Gott gab, rülpste Roy lautstark und jammerte etwas von Bauchschmerzen.
Stellas Gesicht wurde kreidebleich.
„Er träumt nur schlecht“, versicherte Doreen ihr, öffnete die Tür und lief los.
„Aber wenn er wirklich krank ist?“, rief Stella ihr nach. „Sollten wir nicht einen Arzt anrufen oder …“
Doreen wartete nicht ab, bis Stella ausgesprochen hatte, sondern rannte über den Rasen zu ihrem Wagen. Ihre Hände waren nass geschwitzt und konnten den Schlüssel kaum halten. Sie hatte der Versuchung nicht widerstehen können, sich einen Moment lang über ihren Triumph zu freuen, und nun lief ihr die Zeit davon.
Sie war sich so sicher gewesen, dass Roy noch für Stunden außer Gefecht sein würde. Er hatte den ganzen Abend unentwegt getrunken, und dann hatte sie ihm noch ein kleines Extra in seine Bloody Mary gegeben, mit der er seinen Kater bekämpfen wollte. Aber jetzt konnte sie ihn bis hier draußen jammern hören.
Als sie in ihrem Buick saß, den Motor angelassen und die Tür von innen verriegelt hatte, wusste Doreen aber: Sie war in Sicherheit.
Roy Fifers alter Wagen war schon vor Monaten verschrottet worden. Wenn er sich nicht von einem seiner Saufkumpanen einen fahrbaren Untersatz beschaffen konnte, nahm er einfach ihren Wagen. Sie hatte nach Feierabend schon einige Male eine Kollegin bitten müssen, sie mitzunehmen, wenn er sich wieder einmal ihr Auto genommen hatte, ohne ihr ein Wort davon zu sagen.
Nervös warf sie noch einen Blick zum Trailer, wo sie Roy in der Tür stehen sah, fett wie ein Wal und mit schmerzverzerrtem Gesicht, so wie er es verdiente.
Keine Sorge
, sagte sie wortlos, während sie Gas gab.
Sobald sie dir den Magen ausgepumpt haben, bist du wieder ganz der Alte.
Davie runzelte die Stirn, als er den Hörer auflegte.
Tyler saß am Esstisch seiner Hütte und öffnete einen von zwei Eimern voll Hähnchenteile, die sie aus Missoula mitgebracht hatten. „Stimmt was nicht?“, fragte er zurückhaltend.
Kit Carson wusste, er würde von den extra scharfen Teilchen nichts abbekommen. Sein Magen war so empfindlich, dass Tyler beschlossen hatte, dem Tier vorläufig nur reguläres Hundefutter zu geben. Daraufhin hatte sich der Hund in sein Körbchen in der Ecke zurückgezogen.
„Mom sagte, ich soll sie um sechs Uhr anrufen, um Punkt sechs, egal was los ist“, erklärte Davie. „Aber im Trailer nimmt keiner ab.“
„Hast du’s auf ihrem Handy versucht?“
„Sie hat keins“, machte er ihm kopfschüttelnd klar. „Und dabei hat sie so darauf gedrängt, dass ich unbedingt um sechs anrufe …“
Tyler erwiderte nichts. Vermutlich dachte der Junge das Gleiche wie er: dass Doreen die letzten zwei Wochen im Kasino nicht mehr durchgehalten hatte, weil Roy und sie jetzt das dicke Geld in der Tasche hatten. Wahrscheinlich waren sie längst auf dem Weg in die nächste Großstadt. Und das war offenbar wichtiger, als sich von Davie zu verabschieden.
„Und wenn Roy ihr was angetan hat?“, überlegte Davie. „Du weißt schon – damit er das Geld nicht mit ihr teilen muss …“
Die Chancen dafür standen gut – besorgniserregend gut. Vor allem, wenn es ihm gelungen war, Doreen das Geld auf
sein
Konto gutschreiben zu lassen. Dennoch sah Tyler keinen Grund, die Bedenken des Jungen auch
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