Heiß wie der Steppenwind
und mit der Kante schlägt …«
»Das ist es!« Dobronin setzte sich auf einen Hocker neben dem OP-Tisch. »Dunja Dimitrowna, Sie haben eine erstaunliche Kenntnis, wie man einen Menschen tötet.«
»Wir haben am Amur, wenn im Winter die Wölfe aus der Taiga schlichen, die Bestien mit solchen Latten erschlagen. Wir hätten sie schießen können, aber die Munition war zu wertvoll. Die Winter sind lang und unberechenbar. Aber ein Knüppel, eine Latte, findet sich überall. Was für einen Wolf gut ist, genügt auch für einen Wyntok.«
»Lobet die Frauen, denn ihre Seele ist empfindsam …«, sagte Dobronin feierlich. »Ich bin ein Großstadtkind und kenne einen Wolf nur aus dem Zoo. Was für Menschen seid ihr bloß in Sibirien! Da liegt der arme Wyntok, das Hirn sickert ihm aus dem Kopf, und ein zartes Mädchen erzählt ganz ruhig, wie man Wölfe und Menschen umbringen kann. Dunja … sezieren wir weiter …«
Dobronin – wir wissen das – war ein schlechter Chirurg, aber vom Sezieren verstand er etwas. Vielleicht störte ihn bei der Operation, daß seine Patienten noch lebten und es ganz an ihm und seiner Geschicklichkeit lag, ob sie den Eingriff überlebten. Das machte ihn jedesmal unsicher … hier aber, bei einem garantiert Toten, kam es auf saubere Schnittführung, Blutgefäßunterbindungen, Umnähungen und Abklemmen nicht mehr an, hier konnte man mit Elan aufschneiden und wegdrücken, was einem im Wege lag. Und so eröffnete Dobronin den Magen, legte Wyntoks Därme bloß und holte den Mageninhalt heraus. Ein Ei und ein Klumpen Dauerwurst waren noch nicht verdaut, auch fanden sich leicht vergorene Brotreste in der Brühe aus Speise und Tee.
»Er hat gefrühstückt, machte einen Spaziergang und knack – war seine Hirnschale eingeschlagen.« Dobronin winkte Dunja. Sie drückte die großen Schnittwunden zu und übernähte sie grob.
Dobronin deckte Wyntok mit einem Bettuch zu und ließ ihn auf dem OP-Tisch liegen, sosehr Dunja auch protestierte. »Das ist eine Schweinerei«, rief sie. »Ein OP-Tisch ist kein Leichenlager! Außerdem brauche ich ihn um 10 Uhr. Ich habe eine Galle auf dem Programm.«
»Eine Schweinerei ist, daß man mitten unter uns einen Kollegen ermordet!« schrie Dobronin zurück. »Und Ihre Gallensteine können auch bis morgen im Bauch klimpern! Wissen Sie überhaupt, was jetzt passiert? Die Sonderkommission aus Perm landet mit einem Düsenjäger in einer halben Stunde. Natürlich ist Moskau längst verständigt. Wir werden hier keine ruhige Minute mehr haben. O Himmel –« Dobronin starrte Dunja an. »Haben Sie nicht in Irkutsk mit einer Latte einen Arzt erschlagen?«
»Mit einer Flasche, Genosse. Aber er lebt noch.«
»Durch Zufall. Er ist gelähmt.« Dobronin schnaufte laut durch die Nase. »Ob Flasche oder Latte … hier tauchen Parallelen auf. Dunja Dimitrowna, ist Ihnen Wyntok heute morgen zu nahe getreten?«
»Nein.«
»Wo waren Sie, als Wyntok erschlagen wurde?«
»In der Banja.«
»Mein Gott! Dreißig Meter von der Banja hat man Wyntok gefunden!«
»Ein Zufall.«
»Erklären Sie das mal der Sonderkommission aus Perm!«
»Da gibt es keine Erklärungen. Anna Stepanowna war mit mir in der Banja.«
»Das stimmt.« Die dralle Ärztin mit dem Bauerngesicht trat aus dem Kreis der weißen Kittel hervor. »Wir lagen nebeneinander in den Kübeln. Wir sind zusammen hineingegangen und haben die Banja zusammen verlassen.«
»Und habt Wyntok nicht im Schnee liegen sehen?«
»Der Weg zum Krankenhaus liegt zur anderen Seite, Genosse Chefarzt.«
Dobronin raufte sich die Haare. Das Telefon im OP schlug an. Dr. Kutjukow nahm den Hörer ab. »Die Sonderkommission ist gelandet«, sagte er. »Danke, Andron Fjodorowitsch.«
Dobronin wischte sich die Stirn. Er war in seine Verzweiflung geschlüpft wie in einen zu weiten Anzug. »Dunja Dimitrowna, Sie haben Erfahrung darin … kann ihn eine Frau erschlagen haben? Seine Weibergeschichten sind zahllos. War's eine Eifersuchtstat?«
»Warum nicht?« Dunja band ihre Gummischürze wieder ab. »Es gab genug Frauen, die ihm den Tod wünschten. Und jede hatte die Möglichkeit, an eine Latte zu kommen. Auch die Sonderkommission wird sich verirren. Man wird den Mörder nie finden, glaube ich …«
Die Sonderkommission untersuchte zehn Tage lang den geheimnisvollen Tod des Dr. Wyntok. Sie verhörte siebenundsechzig Frauen, bis der Leiter der Kommission, ein Genosse Buraschewski, stöhnend die Protokollakten zuklappte. »Er muß ein Hirsch gewesen
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