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Heiß wie der Steppenwind

Heiß wie der Steppenwind

Titel: Heiß wie der Steppenwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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mich? Haben Sie Schmerzen? Können Sie atmen? Sehen Sie mich? Hallo, hallo … geben Sie ein Zeichen, Genossin … Der Krankenwagen wird gleich hier sein …«
    Man kann über die Stadtverwaltung von Kischinew denken, was man will – und wer denkt schon über Verwaltungen und Beamte freundlich –, mit dem Krankenwagen klappte es vorzüglich. Schon nach zwanzig Minuten lud er Irena Iwanowna ein und fuhr sie zum Krankenhaus. Sie lebte noch, als die Sanitäter sie auf die Bahre schnallten … als man sie in die Aufnahmestation schob, atmete sie nicht mehr.
    Prof. Rellikow betrachtete den eingedrückten Brustkorb und zog dann ein Tuch über das starre Gesicht. Auf dem Transport in den Keller begegnete die traurige Fuhre Marko Borissowitsch.
    »Schon registriert?« fragte er den Sanitäter, der die Bahre schob. »Wenn sie in der Stadt keine Verwandten hat, nehme ich sie gleich mit. Uns fehlt noch ein Frauchen …«
    Er hob das Tuch vom Gesicht der Toten, stieß einen Schrei aus und machte einen Luftsprung. Dann wirbelte er herum und rannte den Flur entlag und aus dem Krankenhaus hinaus. So erfuhr Igor zuerst vom Tod seiner Mutter und holte sie sofort nach Hause. Als Anton Wassiljewitsch Pjetkin eintraf, hatte der Sargtischler sie gerade auf die seidenen Kissen gelegt und mit Blumen bedeckt. Hinter dem Sarg kniete Marko und weinte.
    »Sie ist nicht tot!« schrie Pjetkin und fiel am Sarg nieder. »Irenuschka, mein Täubchen, du kannst nicht einfach tot sein. Wie kannst du uns verlassen? Irenuschka, wach doch auf …« Dann schlug er mit der Stirn auf die Sargkante, sprang plötzlich hoch und starrte mit blutunterlaufenen Augen um sich. »Wo ist der Mörder?!« brüllte er. »Wo ist dieses Vieh? An die Wand schleudere ich ihn, bis ihm das Gehirn herausspritzt! Hat man ihn verhaftet? Ich werde seine Auslieferung verlangen! Die Fische werde ich mit ihm füttern! O Igor, Igor, mein Söhnchen … wir haben keine Mutter mehr …«
    Er legte den Kopf auf Igors Schulter und weinte.
    Das Begräbnis war ein Ereignis für Kischinew. Die wenigsten hatten Irena gekannt – aber der Name Pjetkin allein war ein Magnet. Man wußte: Als der Fahrer des Unglückswagens erfuhr, wen er gegen die Hauswand gequetscht hatte, war er bleich wie Mehl geworden und hatte sich eine Stunde später aus dem Fenster des Milizhauptquartiers gestürzt.
    Nachdem das große Weinen und Klagen verstummt war, und die neugierigen Menschen sich verlaufen hatten, standen nur noch Pjetkin, Igor und der Zwerg Marko zwischen den Kränzen und Sträußen.
    »Ich habe Mutter obduziert, bevor sie in den Sarg gelegt wurde«, sagte Igor leise, als Pjetkin sich die Tränen aus den Augenwinkeln wischte. »Eine gebrochene Rippe hatte ihre Lunge durchstoßen. Sie starb an inneren Blutungen. Man hätte sie retten können …«
    »Und warum hat es keiner getan?« brüllte Pjetkin dumpf.
    »Der Weg war zu lang. Vom Unfall bis zur Einlieferung bei Rellikow verging eine Stunde. Sie sagen: Es war das Glatteis. Die Stadtverwaltung hat mit dem Streumaterial gespart.«
    Igor schlug die Fäuste zusammen. »Ich werde die Bonzen fragen, öffentlich, in der Zeitung! Ich werde fragen: Was habt ihr mit den Rubeln gemacht, die für das Streumaterial bei Glatteis bereitgestellt waren? Wo sind sie hin, he? Krempelt die Taschen um – wir, die übers Eis Rutschenden, wollen hineinsehen!«
    Von diesem Tag an war Igor Antonowitsch einigen einflußreichen Leuten ein Dorn im Auge.

S IEBTES K APITEL
    Dimitri Ferapontowitsch Sadowjew lief herum wie ein Betrunkener, umarmte jeden, den er traf, drückte ihn an sich, schmatzte ihm einen Kuß auf die Wange und schrie: »Sie kommt! In einer halben Stunde kommt sie! O Freunde, das ist der schönste Tag in meinem Leben!«
    Das ganze Dorf Issakowa litt seit Tagen unter dem Glück des alten Sadowjew. Es hatte sich darauf eingestellt, nicht, weil Dimitri der Dorfsowjet war und einen roten Orden für vorbildliche Organisationsarbeit auf der Brust trug, sondern weil das Ereignis wirklich Anlaß war, auf Issakowa stolz zu sein.
    Man stelle sich das vor: Ein elendes Dorf am Rande der Taiga, am riesigen Fluß Amur, ein Grenzdorf also, denn gegenüber, jenseits des Stromes, beginnt das weite chinesische Reich.
    Immer sitzt man auf dem Pulverfaß, seit hundert Jahren schon. Issakowa bestand aus einhundertneunundvierzig Häusern, einer verfallenen Kapelle, zwei langgestreckten Lagerhallen, einer Traktorenstation und einem Getreidesilo. Am Fluß hatte man eine Laderampe

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