Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heldenwinter

Heldenwinter

Titel: Heldenwinter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jonas Wolf
Vom Netzwerk:
auch interessieren«, pflichtete ihm Wikowar bei.
    Dalarr seufzte. »Liegt es nicht auf der Hand? Ihr meint, ein guter König würde sich dadurch auszeichnen, dass er Gutes tut. Eine noble Auffassung. Der Holzkopf hingegen war einer von denen, die der Überzeugung sind, dass man einen guten König an seinem Durchsetzungsvermögen erkennt. An seinem unbeugsamen Willen, das zu tun, was er für richtig hält. In dieser Hinsicht hat ihn Arvid nicht enttäuscht.«
    »Das ist Ziegendreck«, murmelte Wikowar und packte eine Decke aus seiner Kiepe aus. »Ziegendreck, den man als Gewürzknolle verkauft. Damit kenne ich mich gut aus.« Er wickelte sich in die Decke ein, gähnte schmatzend und machte sich lang.
    Namakan sah nachdenklich in die Flammen.
    In diesem Flackern ist mehr Ordnung und Sinn als in dem, was der Meister erzählt hat. Frauen, die ihre Säuglinge verkaufen. Männer, die sich am ganzen Leib aufschneiden, damit sie wie Schlangen aussehen. Huren mit Nadeln aus schwarzem Skaldat im Schoß. Entstellte Prinzen. Feuergeister. Böse Könige, die gute Könige sind. Die Götter der großen Menschen müssen grausam sein, dass sie solche Dinge zulassen. Wie viel Schlimmes hat der Meister in der Welt dort draußen erlebt? Wie viel Unheil hat er gesehen? Namakan stutzte. »Meister?«
    »Hm?« Dalarr schüttelte erst die Weinflasche, dann den Kopf und warf die Flasche über die Schulter in die Dunkelheit.
    »Woher weißt du das alles über Arvid? Hat Waldur dir das erzählt? Ich meine, wo ihr doch Freunde wart.« Unfassbar! Wenn jemand wie Waldur ein Freund des Meisters gewesen ist, will ich nie einen seiner Feinde treffen. »Oder hast du das von diesem Holzkopf? Hast du ihn auch gekannt?«
    »Ja, besser als mir lieb ist«, räumte Dalarr ein.
    »Was ist aus ihm geworden?«
    »Er ist lange tot.« Dalarr stemmte sich in die Höhe. »Schlaf jetzt. Wir haben morgen einen anstrengenden Tag vor uns.« Er machte zwei, drei Schritte aus dem Schein des Feuers heraus. »Schlaf.«
    »Was ist mit dir?«
    »Ich? Ich halte Wache, damit die Spinnen dich nicht fressen. Es wäre wirklich schade um dich.«
    Namakan streckte sich aus und schob sich den Rucksack als Kissen unter den Kopf. Seine leise Furcht vor krabbelnden Geschöpfen war der Schwere, die der Wein über sein Denken gebracht hatte, nicht gewachsen. Er spielte noch eine Weile mit dem Ring an seinem Finger, ehe er einschlief. Er fand sich rasch in einem Traum wieder, in dem er als Riese durch die Welt jenseits der Narbe schritt und alle Könige, denen er begegnete, unter seinen gewaltigen Sohlen zermalmte. Die bösen, aber auch die, die wortreich beteuerten, durch und durch gut zu sein. Er wollte nicht den gleichen Fehler begehen wie der Holzkopf.

8
    Warum schiltst du die Spinne, dass sie ihre Netze spinnt?
    Schiltst du auch den Wind, dass er weht?
    Aus den Zehntausend Fragen auf dem Pfad zur steinernen Gelassenheit
    Das Wasser des Bächleins war kalt, und Namakan brachte damit anfangs kaum mehr fertig, als sich den Mund auszuspülen. Er wartete darauf, ob ihm vielleicht die Zähne von dem eisigen Nass zerspringen würden, doch zum Glück blieben sie ihm erhalten.
    Erst eben, gleich nach dem Aufwachen, hatte er vorsichtig die Verbände um seine Hände gelöst, die Dalarr ihm nach dem Schaufeln des Grabs angelegt hatte. Seine Handflächen waren eine einzige Schicht Schorf, und Kühlung würde ihnen gewiss gut tun. Also krempelte er die Hemdsärmel hoch und steckte die Arme ins Wasser, tief genug, damit seine Finger den schlammigen Grund des Bachs aufwühlten. Er sah den braunen Schlieren nach, die von der Strömung mitgezogen wurden, hin zur nahen Narbe, in deren Tiefen sie unweigerlich hinabgerissen werden würden. Sie sind fort, und sie kommen nie mehr zurück.
    Auf Namakans Schläfen lastete ein schmerzhafter Druck, den auch das kalte Wasser nicht zu lösen vermochte. Es war beinahe, als wäre sein Schädel an diesem Morgen zu klein für sein Hirn, das bei jeder heftigen Bewegung von innen gegen die Knochen zu schwappen schien. Dieser verdammte Wein! Warum hat der Meister mich nicht aufgehalten?
    »Willst du dich nicht ordentlich waschen?« Dalarr kniete am Ufer des Bächleins. Er schöpfte das Wasser ohne jedes Zögern mit den Händen und rieb sich damit den nackten Oberkörper ab. Nass wirkte das Haar auf seiner Brust gar nicht mehr so grau, sondern gewann wie durch Zauberei jene dunkle Farbe zurück, die es in seiner Jugend einmal gehabt haben musste.
    »Ich …

Weitere Kostenlose Bücher