Herr der Moore
nehmen?«
»Nein.« Sarah machte die Tür bereits wieder zu, doch Grady schob rasch den Fuß dazwischen. Ihr Blick ging nach unten, als liege dort eine tote Ratte.
»Bitte. Er ist vermutlich im Moor. Gehen wir zu Fuß, dauert es die ganze Nacht, doch mit dem Pferd sind wir doppelt so schnell.«
»Weshalb nehmen Sie nicht Ihre eigenen?«
Grady seufzte. »Wir haben sie verkauft nach der …« Er wollte Jagd sagen, hielt sich aber rechtzeitig zurück. Sarah an den Tag zu erinnern, als ihr Mann starb, schien ihm die falsche Vorgehensweise zu sein, wenn er sie überreden wollte, ihm ihr Pferd zu leihen. Andererseits glaubte er sowieso nicht, dass sie darüber hinweggekommen war, weil sie sich seit jener Zeit stark verändert hatte. »Na ja, vor Urzeiten schon«, berichtigte er schließlich.
»Tja, dann kann ich Ihnen auch nicht weiterhelfen.« Sie starrte immer noch auf seinen Schuh.
»Warum?«, fragte er nunmehr verärgert. Sie musste ihm bloß den Schlüssel zum Gatter hinter dem Gebäude geben, und er würde das Übrige allein erledigen. Er fand wirklich keine vernünftige Erklärung dafür, dass sie ihn abwimmelte, und doch versuchte sie genau dies.
»Das Pferd gehört meinem Mann«, schob sie vor, »und ich will nicht, dass er zurückkommt und feststellen muss, dass es nicht mehr da ist.«
Gradys Kiefer klappte herunter. Zuerst glaubte er, sich verhört zu haben, weil der Wind so laut heulte und der Regen das Pflaster besprengte, doch als er sich die Worte einprägte, kam er hinter das Ausmaß des Kummers, der diese Frau plagte. Was war bloß aus ihr geworden? Ihm verschlug es die Sprache, und er war froh, als Kate vortrat und fragte: »Wir möchten es nur eine kurze Weile leihen, Mrs. Laws. Bitte. Mein Bruder hat sich im Sumpf verirrt, und ich habe wirklich Angst, ihm sei etwas zugestoßen. Wir brauchen nicht lange, das verspreche ich Ihnen. Ihr Pferd wird längst wieder im Stall stehen, wenn Ihr Mann zurückkehrt.«
Sarah schaute sie skeptisch an, während Grady noch bezweifelte, selbst Kates Sanftmut zeige keine Wirkung, doch dann blickte die Wirtin versöhnlicher drein und gab nach. »Er ist schon so lange fort«, grämte sie sich, »dass auch ich mir so langsam Sorgen mache.« Sie streckte sich hinter der Tür aus, woraufhin die beiden Schlüssel klimpern hörten. Gleich darauf hielt sie Kate einen einzelnen rostigen hin. Das Mädchen nahm ihn und bedankte sich. »Falls Sie ihm dort draußen begegnen«, fügte Sarah an, »richten Sie ihm aus, er solle nach Hause kommen. Ich warte doch auf ihn.«
Ihr aschfahles Gesicht ließ Grady darauf schließen, diese spezielle Wache daure schon eine Weile.
Blitze zerfurchten den Himmel und tauchten die Umgebung sekundenlang in gespenstisches Weiß, während der Regen in der Luft zu erstarren schien.
Kate schaute von Grady zu Sarah und schenkte ihr ein gewogenes Lächeln. »Werden wir, Mrs. Laws. Verlassen Sie sich darauf.«
Sie verabschiedeten sich und gingen um das Haus zur Stallung. Währenddessen erwartete Grady, Kate komme auf das zu sprechen, was sie gerade erlebt hatten, doch das Mädchen blieb still, sah allerdings noch besorgter als zuvor aus. Ihn beschlich das Gefühl, sie werde heute Nacht alles über den Wahnsinn in seinen verschiedenen Ausformungen erfahren.
Hauptsache, sie überlebte es, um die Erfahrung schätzen zu lernen.
Das Gatter quietschte, als sie es öffneten. Das Pferd im Stall schnaubte und scharrte mit den Hufen. Sie ließen ihm Zeit, sich zu beruhigen, dann sattelten sie es und saßen auf. Kate hockte mit ihrer Lampe vor sich hinter Grady und hielt sich mit der freien Hand an seinem Regenmantel fest. Als sie über den Hof und zurück um die Taverne ritten, eilte ihnen Sarah entgegen. Kurz wusste Grady nicht, was er tun sollte, denn er glaubte, sie bereue ihre Entscheidung und verlange nun, dass sie abstiegen und doch zu Fuß gingen. Sie streckte jedoch bloß etwas nach ihm aus; er bekam es gerade noch zu fassen. Er warf einen Blick darauf – eine Flasche irischer Whiskey – und hielt sie wie zum Gruß in die Höhe. Sie nickte und rief noch etwas, das er geflissentlich überhörte, weil er es für die Herzlichkeit des Augenblickes unangemessen hielt und einmal mehr auf die Unzurechnungsfähigkeit der Frau hindeutete: Trinken Sie gemeinsam mit ihm.
***
Sie waren nicht allein. Ein Schaben und Schleifen über ihnen ließ Neil den Kopf anheben und die Ohren spitzen. »Was ist das?«
Stephen erhob das Wort, und darin schwang
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