Herr der Moore
dass dieser Mann Hand an ihn legte.«
»Grady, nein. Sie wissen nicht, was Sie da reden.« Kate kamen die Tränen. All dies zu verarbeiten, war zu viel für sie, zumal sie es auch gar nicht anerkennen wollte und noch beharrlicher verdrängte, was sie allen Befürchtungen nach weiterhin erwartete.
»Leider«, fuhr er mit schmerzlichem Lächeln und zittriger Stimme fort, »habe ich eine Menge Fehler in meinem Leben begangen, Kate. Dieser aber setzt allem die Krone auf. Mein eigener Sohn entfremdete sich von mir und hasst mich jetzt; für ihn bin ich längst tot. Während der Jagd ahnte ich schon, dass etwas mit Callow nicht stimmte, doch ich ließ es auf mich zukommen, woraufhin Menschen zu Tode kamen. Zudem hielt ich geheim, was mancher unbedingt hätte erfahren müssen, und schauen Sie nur, was nun passiert, wir tappen mit Waffen, die kaum nützlicher als Grashalme sein mögen, gegen Kanonenkugeln ins Ungewisse. Alles, was mir im Leben geblieben ist, steht auf der Kippe, und ich weiß nicht was ich … Warten Sie.« Die letzten beiden Worte sprach er so leise, dass der Wind sie fast unhörbar machte, doch Kate las sie von seinen bebenden Lippen ab. Als sie Grady weinen sah, hätte sie am liebsten gebrüllt, denn bis ihm die Tränen gekommen waren, hatte sie sich eingeredet, er habe zu viel mit Fowler getrunken oder sich von seiner Reue übermannen lassen, weil Neil verschwunden war. Jetzt aber war jede Spur von Stärke verschwunden, die sie ihrem Diener zugemessen hatte, und zurück blieb ein gebrechlich aussehender Hohlkörper bar jeglicher Hoffnung, das klapprige Zerrbild eines Mannes, der sich auf die Rolle eines Unheilspropheten zurückgeworfen sah, ein maroder Wegweiser, der auf die Katastrophe hindeutete.
»Sie können nicht einfach aufgeben«, mahnte sie. »Wir sind fast da. Falls Neil etwas zugestoßen, falls er … tot ist, was ich absolut nicht glaube, ist es auch unwichtig, was mit uns geschieht. Trotzdem müssen wir uns vergewissern. Wir können ihn nicht im Stich lassen, das wissen Sie genau, Grady.« Sie streckte eine Hand nach ihm aus, packte seinen Kragen und zog daran, als wolle sie ihm die Niedergeschlagenheit austreiben. »Geben Sie sich einen Ruck!«
Er schaute auf ihre Hand an seinem Mantel, da befürchtete sie kurz, er bitte sie gleich, sie möge von ihm ablassen, denn dann hätte sie ihn eindeutig verloren. Er aber hob den Kopf an und erwiderte ihren Blick betrüblich, nickte allerdings dabei. »Sie haben recht«, sagte er und nahm einen letzten Schluck, ehe er den Deckel wieder auf den Whiskey schraubte und die Flasche ins Dunkel schleuderte.
Das Pferd wieherte.
Kate trat zurück, während Grady es besänftigte. »Ruhig Blut«, zärtelte er. »Du läufst nach Hause.«
Sie stutzte. »Was?«
Als sich Grady ihr wieder zuwendete, erkannte sie mit gemischten Gefühlen, dass er wenigstens teilweise zu sich gefunden hatte. Es war kaum merklich, und seine Miene beunruhigte sie. »Es war idiotisch, Sie mitgenommen zu haben«, sagte er streng, »aber es gibt noch eine Möglichkeit, diesen Fehltritt auszumerzen.«
Sie wich wie automatisch vor ihm zurück. »Was haben Sie vor?«
»Was ich schon lange vorher hätte tun sollen.« Sie sah zu, wie er die Winchester vom Sattel nahm. Dann schaute er in die Kammer, um sich zu versichern, dass die Waffe geladen war, klappte wieder zu und hob sie hoch. »Vergeben Sie mir, Liebes«, bat er und zielte auf ihre Brust.
***
»Tabby?«
Sie seufzte vor Erleichterung, da die Stimme des Schattens, der sich in der Tür aufbaute, eine vertraute war. Dennoch schlüpfte sie wieder unter die Decke und errötete, weil sie fast nackt war. »Was ist los?«
Donald erwiderte nichts. Durch das schwache Licht auf dem Flur waren seine Züge in Schwarz getaucht. Schließlich runzelte Tabitha die Stirn, denn sein Starren regte sie auf und lastete unangenehm auf ihr.
»Wolltest du mir etwas sagen?«
Einen Moment lang hegte sie die wunderbare Vorstellung, er sei gekommen, um sich zu entschuldigen. Vielleicht war er nach dem Ausfall mit Grady endlich zur Vernunft gekommen, oder das gleiche schlechte Gewissen, das sie selbst wach hielt, hatte auch ihren Bruder erfasst.
Dann ging ein Ruck durch seinen Körper, als nötige ihn die Hand eines Puppenspielers von oben dazu, sich eine natürliche Haltung angedeihen zu lassen. Langsam richtete er sich auf, und als er sprach, klang seine Stimme dunkel, als sei er gerade erst erwacht. »… sagte, du würdest dich nach mir
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