Herr des Chaos
außerhalb des eigenen Sichtbereichs geschah, wo der sichere Sieg genauso kurzlebig sein konnte wie die Niederlage. Die schlimmste Schlacht, die er je ausgefochten hatte - als die Heere mitten in der Nacht in der Nähe von Moisen aneinandergeraten waren, während der Zeit der ›Unruhen‹ -, war klar wie ein schöner Sommertag verlaufen, wenn man sie mit der verglich, in der er sich jetzt befand.
Hatte er sich geirrt? War die Burg wirklich auseinandergebrochen? Irgendeine Auseinandersetzung zwischen den Ajahs? Ging es um Al'Thor? Wenn die Hexen untereinander um die Vorherrschaft kämpften, würden viele der Kinder des Lichts Carridins Lösung unterstützen, nämlich in Salidar zuzuschlagen und so viele Hexen wie möglich zu vernichten. Männer, die sich einbildeten, wenn sie an morgen dachten, dann dächten sie voraus, aber an die nächste Woche oder den nächsten Monat oder gar das nächste Jahr dachten sie nicht. Valda beispielsweise. Vielleicht war es ganz gut, daß er Amador noch nicht erreicht hatte. Und zum anderen Rhadam Asunawa, der Hochinquisitor der Zweifler. Valda wollte immer gleich mit der Axt dreinschlagen, auch wenn ein Dolch für die zu erledigende Aufgabe besser geeignet war. Asunawa hätte am liebsten gesehen, daß man jede Frau schon vorgestern aufgehängt hätte, die auch nur eine Nacht in der Weißen Burg verbrachte. Jedes Buch, in dem die Aes Sedai oder die Eine Macht erwähnt wurde, sollte verbrannt werden. Selbst diese Bezeichnungen wollte er verbieten lassen. Asunawa dachte nie an etwas anderes als diese Ziele, und es war ihm einerlei, welchen Preis ihr Erreichen fordern würde. Niall hatte zu hart gearbeitet, zuviel aufs Spiel gesetzt, um zu gestatten, daß dies in den Augen der Welt zu einer reinen Auseinandersetzung zwischen den Kindern und der Burg wurde.
In Wirklichkeit spielte es keine Rolle, ob er sich irrte oder nicht. Und wenn er sich irrte, konnte das sogar zu einem Vorteil gereichen. Vielleicht war es sogar besser, als jetzt recht zu haben. Mit ein bißchen Glück mochte es sein, daß er der Weißen Burg unheilbaren Schaden zufügte und die Hexen so gegeneinander aufbrachte, daß man sie anschließend leicht zu Staub zermalmen konnte. Dann würde auch al'Thor ins Wanken kommen, wobei er aber immer noch als Bedrohung galt und man ihn so zum Köder machen konnte. Und er konnte sich eng an die Wahrheit halten. Ziemlich eng jedenfalls.
Ohne den Blick von den Flaggen zu wenden, sagte er: »Die Spaltung in der Burg ist durchaus im Bereich des Möglichen. Die Schwarzen Ajah haben sich erhoben, die Sieger halten die Burg, und die Verlierer wurden vertrieben und lecken in Salidar ihre Wunden.« Er sah Balwer an und hätte fast gelächelt. Eines der Kinder hätte widersprochen, es gebe keine Schwarzen Ajah, oder die Hexen seien sowieso alles Schattenfreunde. Selbst der unerfahrenste Rekrut hätte das erwidert. Balwer blickte ihn lediglich an, und das keineswegs so, als habe er eine Blasphemie an allem, wofür die Kinder standen, begangen. »Wir müssen lediglich entscheiden, ob nun die Schwarzen Ajah gewonnen oder verloren haben. Ich glaube, sie haben gewonnen. Die meisten Leute werden diejenigen als die echten Aes Sedai betrachten, die die Weiße Burg beherrschen. Laßt sie die wirklichen Aes Sedai für Mitglieder der Schwarzen Ajah halten. Al'Thor ist ein Geschöpf der Burg, ein Vasall der Schwarzen Ajah.« Er hob seinen Weinkelch vom Tisch und nippte daran. Es half auch nicht gegen die Hitze. »Vielleicht kann ich irgendwie einen Grund dafür finden, daß ich bisher nicht gegen Salidar vorgegangen bin.« Seine Abgesandten hatten verbreitet, er sei nicht gegen Salidar vorgegangen, weil er die Bedrohung durch al'Thor so ernst nahm; er sei gewillt, die Hexen auch an der Schwelle Amadicias zusammenkommen zu lassen, anstatt sich von der Gefahr durch den falschen Drachen ablenken zu lassen. »Die Frauen dort, nach all diesen Jahren das Chaos ... weil die Schwarzen Ajah überall zu finden sind, und endlich von dem Bösen abgestoßen, in das sie verwickelt waren...« Sein Erfindungsreichtum versagte - sie zählten schließlich alle zu den Schattenfreunden und konnten wohl kaum von etwas Bösem abgestoßen werden - doch einen Augenblick später nahm Balwer den Faden auf.
»Vielleicht haben sie sich entschlossen, meinen Lord um Gnade anzuflehen und ihn sogar um seinen Schutz zu bitten. Die Verlierer in einem Machtkampf, schwächer als ihre Feinde und voller Angst, ganz unterdrückt zu
Weitere Kostenlose Bücher