Herr des Chaos
sein müssen, oder du...« Sie schaute in ihren Becher, so daß er ihr Gesicht nicht sehen konnte. »Wenn nicht, wird dir etwas Schlimmes zustoßen.« Ihre Stimme klang verzagt und verängstigt. »Etwas sehr Schlimmes.«
So gern er auch mehr erfahren hätte - zum Beispiel über das Wann und Wo und Wie -, sie hätte es ihm bereits gesagt, wenn sie es gewußt hätte. »Dann werde ich ihn einfach in der Nähe behalten müssen«, sagte er so heiter wie möglich. Er mochte es nicht, wenn Min verängstigt war.
»Ich glaube nicht, daß das genügen wird«, murmelte sie in ihren Becher. »Es wird geschehen, wenn er nicht da ist, aber nichts, was ich gesehen habe, besagt, daß es nicht geschehen wird, weil er da ist. Es wird sehr schlimm werden, Rand. Allein an diese Vision zu denken, macht mich...«
Er hob ihr Gesicht an und war überrascht, Tränen in ihren Augen zu sehen. »Min, ich wußte nicht, daß diese Visionen dich verletzen können«, sagte er sanft. »Es tut mir leid.«
»Du weißt gar nichts, Schafhirte.« Murrend zog sie ein spitzenbesetztes Taschentuch aus dem Ärmel und tupfte sich die Augen ab. »Es war nur Staub. Du läßt Sulin hier drinnen nicht oft genug staubwischen.« Das Taschentuch wurde schwungvoll wieder eingesteckt. »Ich sollte zur Rosenkrone zurückgehen. Ich mußte dir einfach sagen, was ich über Perrin gesehen habe.«
»Min, sei vorsichtig. Vielleicht solltest du nicht so oft kommen. Ich glaube nicht, daß Merana gut auf dich zu sprechen wäre, wenn sie entdeckt, was du tust.«
Sie lächelte wieder wie früher, und ihr Blick wirkte belustigt, auch wenn die Augen noch immer vor Tränen glänzten. »Überlaß sie mir, Schafhirte. Sie denken, daß mich der Anblick Caemlyns wie jeden anderen Dummkopf vom Lande überwältigt. Wenn ich nicht jeden Tag käme - wüßtest du dann, daß sie sich mit den Adligen treffen?« Sie hatte das gestern auf ihrem Weg zum Palast zufällig beobachtet. Merana war einen Moment an einem Fenster eines Palastes erschienen, der Lord Pelivar gehörte. Es bestand ebenso die Möglichkeit, daß Pelivar und seine Gäste die einzigen waren, wie auch die Möglichkeit, daß Merana dorthin gegangen war, um Pelivar zu helfen.
»Sei vorsichtig«, beharrte er. »Ich will nicht, daß du verletzt wirst, Min.«
Sie betrachtete ihn einen Moment schweigend und richtete sich dann ausreichend weit auf, um ihn leicht auf die Lippen zu küssen. Zumindest... Nun, es war wirklich nur ein leichter Kuß, aber dies war ein tägliches Ritual, wenn sie ging, und er hatte das Gefühl, daß diese Küsse jeden Tag etwas weniger leicht wurden.
»Ich wünschte, du würdest das nicht tun.« Sie auf seinen Knien sitzen zu lassen, war eine Sache, aber Küsse trieben den Scherz zu weit.
»Keine Tränen mehr, Bauernjunge«, sagte sie lächelnd. »Kein Gestammel.« Sie zauste ihm das Haar, als wäre er ein zehnjähriger Junge, und ging dann zur Tür, aber sie bewegte sich auf anmutig schwingende Art, die vielleicht keine Tränen und Gestammel bewirken würde, ihn aber sicherlich dazu brachte, sie anzusehen, wie sehr er sich auch dagegen wehrte. Sein Blick zuckte zu ihrem Gesicht, als sie sich umwandte. »Deine Wangen sind gerötet, Schafhirte. Ich dachte, die Hitze könnte dir nichts mehr anhaben. Aber mach dir nichts draus. Ich wollte dir nur noch sagen, daß ich vorsichtig sein werde. Ich sehe dich morgen. Denk daran, frische Socken anzuziehen.«
Rand atmete tief aus, nachdem sich die Tür fest hinter ihr geschlossen hatte. Frische Socken? Er zog jeden Tag welche an! Es gab nur zwei Möglichkeiten. Er konnte weiterhin so tun, als hätte sie keinerlei Wirkung auf ihn, bis sie aufgab, oder er konnte sich dem Gestammel hingeben. Oder vielleicht dem Bitten. Sie würde vielleicht aufhören, wenn er sie darum bat, aber dann konnte sie ihn damit necken, und Min neckte gerne. Die einzige andere Möglichkeit - ihre gemeinsame Zeit zu beschränken und sich kalt und abweisend zu verhalten - stand außer Frage. Sie war eine Freundin. Er könnte sich genauso gut kalt verhalten gegenüber... Aviendha und Elayne kamen ihm in den Sinn, aber das paßte nicht. Gegenüber Mat oder Perrin. Das einzige, was er nicht verstand, war, warum er sich in ihrer Nähe immer noch so behaglich fühlte. Es hätte nicht so sein sollen, da sie ihn auf diese Art verspottete, aber er tat es.
Lews Therins Gefasel war von dem Moment an, in dem die Aes Sedai erwähnt wurden, lauter geworden, und jetzt sagte er ganz deutlich: Wenn sie
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