Heute morgen und fuer immer - Roman
nachgab. Wie war ich bloß hier hineingeraten? Jasper und seine verrückten Ideen, die mich zu solchen Abenteuern verleiteten. Ein bisschen fühlte ich mich wie ein Teenager, der mal wieder etwas Neues ausprobiert und seine Grenzen austesten will. Wobei ich diese Phase aufgrund des unermüdlichen und disziplinierten Klavierübens praktisch ausgelassen hatte. Vielleicht konnte das ja den Reiz ausmachen, feuerte ich mich an. Doch die Abenteuerlust schien heute schon mit jemand anders verabredet zu sein. Mühsam tat ich einen Schritt vor den anderen und vermied es sowohl hinauf- als auch hinunterzuschauen. Zwischen Katjas Rücken und meinen Füßen pendelte mein Blick starr hin und her.
»Alles klar bei dir? Wir haben es bald geschafft!«, sprach Jasper mir von hinten Mut zu.
Was hieß bitte bald? Laut meiner Uhr waren wir bereits seit einer Stunde unterwegs.
»Da wären wir!«, sagte Katja und hielt inne.
Erleichtert atmete ich auf.
»Ich lass euch dann mal alleine, Jasper, du weißt ja, wie ihr wieder runterkommt.« Unsere Führerin verabschiedete sich und seilte sich unversehens in den Innenraum des Stadions ab.
Schockgefroren packte ich Jaspers Arm. »Sag mir, dass ich das nicht nachmachen muss und es einen anderen Weg runter gibt, sonst schrei ich hier auf der Stelle um Hilfe!«
Jasper fand mich als Schisser höchst amüsant. »Clara, das soll hier ein romantischer Ausflug werden und kein Überlebenstraining!«
Von Romantik merkte ich bislang nichts, eher von Adrenalinausschüttung, was Jasper nicht entging. Mit ruhigen Bewegungen machte er seinen Rucksack auf und holte eine Thermoskanne, ein Windlicht und einen I-Pod mit tragbaren Boxen hervor. Dann kramte er zwei kleine Alupakete heraus. Zuerst legte er »Wonderful Tonight« von Eric Clapton ein, zündete dann die Kerze an und schenkte mir aus der Thermoskanne eine Tasse Schokolade ein, dazu gab's Kuchen, den er aus der Alufolie ausgewickelt hatte. »So, und jetzt schau dir bitte mal dieses Panorama an, die Frauenkirche da hinten ... So hast du München bestimmt noch nie gesehen. Bei schönem Wetter sieht man bis zu den Alpen!«
Jasper hatte recht, der Blick von hier oben war überwältigend! Die Stille und die Lichter, die langsam nach und nach angezündet wurden, das Abendrot verzauberte die Stadt und mich. Langsam begann ich, diesen außergewöhnlichen Ort und die Atmosphäre zu genießen, und trank schweigend den heißen Kakao. Jasper streichelte zärtlich meinen Nacken und knabberte an meinem Ohr. Langsam drehte ich mich zu ihm, küsste ihn, und die schwindelerregende Höhe schien das wohlige Kribbeln, das der Kuss hervorrief, nur noch zu vertiefen.
»Na, hat sich der Ausflug gelohnt?« Jasper lachte leise und sah mich schelmisch mit diesem »Ich hab's ja gewusst«-Blick an. Wir genossen die Aussicht, bis es dunkel wurde. Zum Glück wurde das Stadion abends erleuchtet, aber Jasper hatte trotzdem vorgesorgt und zwei Stirnlampen und zwei Taschenlampen mitgebracht. Der Abstieg kam mir viel schneller und einfacher vor
als der Aufstieg, was vor allem daran lag, dass ich meine Angst überwunden hatte. Jasper ging voraus, blickte jedoch immer wieder über seine Schulter, um nach mir zu sehen. Unten angekommen, war ich trotz alledem froh, wieder sicheren Boden unter den Füßen zu haben. Als ich mich umdrehte und noch mal überriss, wie weit oben wir uns eben noch befunden hatten, durchströmte mich ein Glücksgefühl. Stolz war ich und erledigt, gleichzeitig fühlte ich mich wild, verwegen und so abenteuerlustig, dass mir Marco Polo wie ein Weichei vorkam. Okay, diese Einschätzung war wohl eher noch dem Rausch der Hormone zuzuschreiben ...
»Danke, das war wirklich ein besonderes Erlebnis für mich!« Ich gab Jasper einen Kuss, den er erleichtert erwiderte.
Kapitel 4
Ski Heil!
»Füße auseinander und die Knie nach vorne, Maxi!«, schrie ich so laut wie möglich, um mich gegen die anderen Kinder und Skilehrer durchzusetzen. Maxi versuchte zwar sein Bestes, war aber einfach noch zu wacklig auf den Skiern und fuhr fast eine russische Gattin um, die auch zum ersten Mal auf den Brettern stand. Eigentlich war es für Kinder, die in München lebten, ungewöhnlich, erst mit zwölf Jahren Ski fahren zu lernen, aber zum einen war es Helene immer zu teuer gewesen, zum anderen hatte sie mit ihren Schichtdiensten wenig Zeit gehabt, und außerdem hatte Helene, auch wenn sie es nicht gern zugab, Angst um ihren Maxi! Jetzt, wo ich wieder länger in München war,
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