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Heute Und in Ewigkeit

Titel: Heute Und in Ewigkeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Randy Susan Meyers
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mich gleichzeitig ängstigte und traurig machte. »Merry weiß, was ich mag.« Er klang ernüchtert. »Sie kann schon für mich sorgen.«
    »Meinen Sie nicht, dass das etwas mehr Verantwortung ist, als ein junges Mädchen brauchen kann?«
    »In einer Familie kümmert man sich umeinander.« Daddy verschränkte die Arme vor der Brust.
    Doktor Cohen machte ein Gesicht, als hätte er an einem Zitronenschnitz geleckt. Ich wusste, was er dachte. Daddy wusste auch, was er dachte.
    »Sie halten mich für ein Ungeheuer, Doktor. Vielleicht war ich das auch.« Daddy hielt inne. »Ja, ich glaube, ich war ein Ungeheuer von der schlimmsten Sorte. Aber ich war betrunken und außer mir vor Liebeskummer. Sie meinen, das wäre keine Entschuldigung, aber ich verbüße meine Schuld.«
    Doktor Cohen beugte sich vor und sagte wieder leise: »Es hat den Anschein, als müssten Ihre Töchter ebenso büßen wie Sie.«
    »Das sieht für jemanden wie Sie vielleicht so aus, aber ich fin-de, es geht den beiden ganz gut. Die Mädchen haben doch jetzt Sie, oder? Nach allem, was Merry mir schreibt, ist Ihre Frau ein richtiger Schatz.« Mein Vater nahm seine Brille ab. Seine Augen erinnerten mich an Omas. »Die Mädchen schreiben in der Schule gute Noten. Lulu kommt sogar aufs College.«
    »Aber sie haben keine Eltern, nicht wahr?«, erwiderte Doktor Cohen. »Nichts kann den Verlust einer Mutter wettmachen.«
    Ich wusste nicht, was ich tun sollte, um das hier aufzuhalten.
    »Meine Mädchen haben mich. Ihren Vater.«
    »Kaum«, sagte Doktor Cohen.
    »Ich liebe meine Töchter.« Daddys Augen waren auf einmal ganz schmal. »Und Merry kümmert sich um mich. Das wird sie immer tun. Nicht wahr, Merry?«
    Ich hielt den Atem an, schloss die Augen und wünschte mich weit, weit weg. Dann öffnete ich sie wieder. »Ja, Daddy.«

TEIL ZWE I

13
Lulu: 198 2
    eute sollte der Anatomiekurs anfangen. In einer halben Stunde würde ich vor einem Raum voll zugedeckter Leichen stehen. Zum Frühstück brachte ich nicht mehr als eine Tasse Kaffee herunter.
    Obwohl es bis zum Herbst nur noch wenige Wochen hin war, sah Boston immer noch aus wie im Sommer. Die Stadt wirkte geradezu idyllisch. Selbst in den schäbigsten Vierteln hatte man Raum zum Atmen, im Gegensatz zu New York.
    Ich ging die Commonwealth Avenue entlang und genoss die breiten Bürgersteige und den üppigen Grasstreifen, der die Straße in der Mitte teilte wie ein grüner Fluss. In ein paar Monaten würde glitzernde Weihnachtsbeleuchtung ganze Straßenzüge entlang die kahlen Bäume schmücken. Sogar da, wo die Comm Ave – wie die Einwohner die Straße nannten – ganz normal wurde und die Sandsteinhäuser von Back Bay dem von Studenten bevölkerten Kenmore Square mit seinen Wohnheimen, billigen Supermärkten und Burger Kings wichen, selbst da gefiel mir alles, denn ganz egal, wo, ich war nicht in New York.
    Dies war mein erstes Jahr an der Cabot Medical School, der einzigen Universität, an der ich mich beworben hatte. Das Institut war in Boston, dem Ort, an dem ich als freier Mensch wiedergeboren worden war. Hier war ich aufs College gegangen. In Boston hatte ich ganz neu angefangen. In Boston kannte mich niemand. In Boston hatte ich das Mördermädchen getötet.
    Am College kannten mich alle nur als das stille Mädchen, das immerzu lernte. Der Rest der Welt hätte meinen können, dass ich in der Bibliothek wohnte, und so wenig, wie ich mit meiner Zimmernachbarin redete, hätte ich ebenso gut unter einem der Tische im Lesesaal schlafen können. Im zweiten College-Jahr hatte ich eine Wohnung gemietet, so klein und von niemandem gewollt, dass ich sie mir leisten konnte, mit ein bisschen Geld von den Cohens und dem, was ich nebenbei im medizinischen Labor verdiente.
    Ich hatte mich am College nur sicher gefühlt, indem ich ganz für mich geblieben war. Nur allein hatte ich Frieden gefunden. Einsamkeit war ein geringer Preis für vier Jahre entspannter Unsichtbarkeit nach meinem Leben im Duffy und bei den Cohens. Es würde wohl ziemlich lange dauern, bis die aufgezwungene, gemeine Nähe, die ich im Heim hatte ertragen müssen, und die undurchdringlichen Mauern, mit denen ich mich bei den Cohens umgeben hatte, ihre Wirkung verloren. Die Lügengeschichte, die ich mir für die Highschool ausgedachte hatte, hatte mich ständige Wachsamkeit gekostet.
    Manchmal erinnerte ich mich an die kurze, köstliche Aufregung bei der Vorstellung, ich könnte ein Teil der Familie Sachs werden, als ich davon geträumt hatte,

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