Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
beobachtest du hier häufig Kleintiere. Hier kann man mit der Natur Zwiesprache halten. Ganz deine Welt, Tora.“
„Findest du? Hinten am Quellbach, an der Lorunda, ist es noch beschaulicher, komm, bitte.“
Ich führte ihn über den Kiesweg, der von Veilchen, Windbuschröschen und blühenden Büschen umsäumt war, zu der beschnitzten Bank, auf die wir uns im Schatten der dortigen Erle niederließen. Bereits auf dem Weg hierher hatte sich meine Aufregung über unser unerwartetes Wiedersehen etwas gelegt, und hier wurde ich noch ruhiger. Ich hoffte, Raimund erging es ebenso. Schweigend lauschten wir dem an dieser Stelle besonders melodischen Wellengesang der Lorunda. Geheimnisvoll schön klang ihr Lied - weiches Blubbern, kurzes Gluckern und untergründiges Murmeln verbanden sich zu: ‚Lorunda . , Lorunda . .’
„Daher ihr Name“, lächelte Raimund.
Wir lauschten noch eine Weile dem Lorundalied, was uns auf wundersame Weise entspannte, ehe Raimund mit seinen Erklärungen fortfuhr.
Von Burg Runkel aus habe er eine vage Spur zu meinem Elternhaus ausfindig machen können, die in die östlichen Ausläufer des Harzes, zur Bernburg führte, berichtete er. Der wollte er nachgehen. Es habe ihn dann viel Überredungskunst bei seinem Vater gekostet, bis er ihm gestattet hätte, seine Ritterausbildung auf jener Burg vollenden zu dürfen. Nun, auf der Bernburg sei ihm Junker Dietrich, der Sohn des hiesigen Barons, begegnet. Sie hätten sich angefreundet und alle Freizeit miteinander verbracht. Er habe Dietrich ausführlich von mir erzählt und ihm angekündigt, sowie er Ritter sei, werde er noch intensiver nach mir suchen, so lange, bis er mich gefunden habe.
Darauf erkannte ich: „Du also bist dieser Freund, den Ritter von Erlenrode erwähnt hat.“
„Ja, und er ist unmittelbar nach seinem überstürzten Auszug aus diesem Gut zu mir nach Zollern gereist, um mir von dir, der Klosterköchin Tora von Tornle, zu berichten. Allerdings habe ich nicht sofort hierher eilen können, da ich in Zollern Unaufschiebbares habe erledigen müssen.“
„Ich weiß, Raimund, die Umgestaltung des ehemaligen Klosters.“
Er sah mich verblüfft an, weshalb ich ihm von Tante Annas Brief erzählte.
Keine Frage, dass es für uns darauf kein anderes Thema mehr geben konnte, als unsere gemeinsame Zeit in Zollern. Dabei verhielt er sich ebenso reizend wie damals, und er schwäbelte noch immer so süß und zeigte beim Lachen seine Wangengrübchen, die ich am liebsten einzeln und immer wieder geküsst hätte. Wagte ich mich aber nicht, denn leider war er auch noch ebenso schüchtern wie früher, weshalb ich diesem Drang nicht nachgeben konnte. Höchstens, dass er hin und wieder kurz seinen Arm hinter mir auf der Rücklehne ausstreckte, den ich dann unauffällig mit den Schulterblättern berührte.
Darüber waren unversehens die Nachmittagsstunden verflossen, und als ich ihn gegen Abend zur Gartenpforte begleitete, nahm er mich endlich doch in den Arm - allerdings nur für wenige Sekunden. Ach, Raimund! Auf meine anschließende Frage, wie lang er sich in Erlenrode aufhalten werde, sagte er mir:
„Zunächst nur bis morgen Früh, aber ich werde wiederkommen. Ich wohne momentan bei der Gemahlin des Barons in Disburg, wo sich jetzt auch Dietrich mit seiner Frau Bertrada aufhält. Sie warten doch alle auf den Bericht über das Befinden des Barons.“
„Verständlich“, nickte ich und wollte dann erfahren: „Wie lange brauchst du bis Disburg?“
„Zweieinhalb Stunden durch die Berge, und ich bin dort. Können wir uns morgen nach dem Frühstück voneinander verabschieden?“
„Gerne, Raimund, ich werde im Empfangssalon sein.“
Auf seinem anschließenden Weg hinüber zum Gut musste ich gewaltsam meinen Blick von ihm lösen, er hatte noch immer diesen katzenartig geschmeidigen Gang und sah so blendend aus wie kein zweiter Mann, selbst von hinten.
G emäß der Situation drehte sich unser Gespräch am nächsten Morgen ausschließlich um den Baron. Raimund wollte wissen, was er der Familie über dessen Befinden ausrichten soll, er selbst habe gestern zwar eine Weile an seinem Bett gesessen, jedoch kein ausreichendes Bild von seinem Zustand gewinnen können. Ich konnte ihm nur sagen, dass es mit ihm zu Ende ging, Pfingsten werde er wohl nicht mehr erleben, das meine auch sein Arzt. „Aber den Umständen entsprechend geht es ihm gut“, fügte ich hinzu, „er leidet weder körperlich noch seelisch.“
„Den Eindruck hatte ich ebenfalls, und das wird
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