Hexen: Vier historische Romane (German Edition)
mich doch noch nie selbst frisiert.“
„Natürlich stecke ich dir dein Haar hoch, Mutti, dann nimm bitte Platz.“
Während ich mich mit ihrem Haar beschäftigte, sagte sie mir nachdenklich: „In gewisser Hinsicht bist du um deine unfreiwillige Flucht aus dem Kloster zu beneiden, Dorith. Du hast praktische Lebenserfahrung, kannst dir selbst helfen, bist auf niemanden angewiesen. Was jedoch weit höher einzuschätzen ist, während der vier Jahre die du als Bürgerliche unter Bürgern zugebracht hast, hast du dir bei ihnen einen Erfahrungsschatz erworben, der mir als Verwalterin unserer Grafschaft abgeht.“
„Der dir abgeht? - Ja, sicher, so habe ich das noch nie gesehen. Eigentlich sollte jeder Regierende in seiner Ausbildung eine gewisse Zeit als einfacher Mensch unter dem Volk zugebracht haben. Allerdings sollte auch umgekehrt das Volk Einblick in die Ratssäle gewinnen, sagt mir meine erworbene Lebenserfahrung. Jeder sollte beide Seiten kennen lernen, denn regieren ist sicher nicht leichter als regiert zu werden. Stimmst du mir da zu?“
„Ach Dorith, ich kann das doch nur von meiner Seite her beurteilen.“
Ja, dachte ich, sie mag zwar regen Kontakt mit den Bürgern ihrer Grafschaft pflegen, doch deren Sorgen, Wünsche und Freuden hat sie nur aus ihren Berichten erfahren, hat sie nie selbst zu spüren bekommen. Ein wirkliches Manko, über das wir sicher noch ausführliche Gespräche führen werden.
Momentan aber stand für uns die aktuelle Familiensituation im Vordergrund. Während ich eine von Mutters Haarsträhnen nach der anderen unter kunstvollem Drehen nach oben wand und ihre Enden dann mit Steckkämmchen unsichtbar in ihre weiße Haarpracht versenkte, berieten wir, wann wir meine Identität bekannt geben sollten. Denn außer Dietrich und ihr, sagte sie mir, wisse noch niemand, wer ich in Wahrheit sei.
„Nicht vor morgen“, befand Mutter letztendlich. „Verstehe bitte, der Tod eures Vaters und gleich tags drauf die Freude über das unerwartete Wiedersehen mit dir, das wäre zu viel für deine Geschwister und Schwäger. Niemand kann zwei solch konträre Ereignisse so kurz hintereinander verkraften.“
„Mach dir keine Gedanken um mich, natürlich verstehe ich das. Außerdem“, ich lächelte sie im Spiegel an, „steht mir heute ein reichliches Pensum an Arbeit bevor, schließlich haben wir hohe Gäste samt ihren Domestiken zu bewirten.“
„Ab heute Nachmittag, doch überwiegend morgen, werden noch mehr Gäste eintreffen, Dorith, deine Verwandten väterlicherseits, die ich gestern alle über Boten habe benachrichtigen lassen. Rechne mit sechzig bis siebzig Personen, einschließlich ihrer Bediensteten.“
„Ich werde Vorkehrungen treffen.“
Ein Meisterwerk war Mutters Frisur dann nicht geworden, doch ihr Witwenhut mit dem engmaschigen Schleier verdeckte die kleinen Mängel. Ich begleitete sie zur Gartenpforte, wo sie mir ankündigte, mich morgen Nachmittag in ihr Gemach bitten zu lassen. Dann schritt sie davon - jetzt wieder ganz die Hoheit von Disburg.
„N ehmt Heide Sommer und Irma Föhr, beide verstehen sich hervorragend aufs Kochen“, riet mir Frowin auf meine Frage, welche Erlenroderinnen wir für die nächsten Tage als Küchenhelferinnen engagieren könnten. „Auf Euren Wunsch hat Herr von Kahl bereits mehrere Dörfler zur Fronarbeit bestellt“, informierte mich Frowin ungefragt, „sowohl Knechte für die Stallungen als auch Frauen zum Herrichten und Sauberhalten aller im Gutshaus befindlichen Gästezimmer. Sie treten im Laufe des Vormittags ihren Dienst an.“
Auf meine neckende Bemerkung: „Fremde Frauen auf diesem Gut? Wie mutig von unserem Verwalter“, konterte Frowin verschmitzt:
„Keine falsche Bescheidenheit, gnädige Frau, wart nicht Ihr es, die vor einem Jahr als Küchenmeisterin den Anfang damit gemacht hat? Und vorhin habt Ihr nicht einen Moment gezögert, weibliche Fronhilfen für die Küche zu wählen.“
„Ich gebe mich geschlagen, Frowin.“
Diesen heiteren Ton konnten wir nur anschlagen, weil wir nach Beendigung des Frühstücks alleine im Speisehaus saßen. Was jetzt aber ein Ende fand. Raul trat ein, brachte uns meine gewünschten Schreibunterlagen, und ich trug ihm auf, im Dorf Frau Sommer wie auch Frau Föhr zu bitten, uns ab morgen Früh für ein paar Tage in der Küche behilflich zu sein. „Richte ihnen aus, ich werde sie für diese Dienste entschädigen, ebenso wie alle anderen Helfer“, fügte ich hinzu.
Seinem und Frowins erstaunten Blick über meine
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